Belarus: Solidarität mit der Athletenbewegung BSSF und Appell an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Sportverbänden
Berlin, 26. Mai 2021. Im Lichte der jüngsten Geschehnisse in Belarus bekräftigt Athleten Deutschland seine Unterstützung für die belarussische Athletenbewegung rund um die Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF). Die Repressalien und Menschenrechtsverletzungen des Regimes machen auch vor dem Sport nicht halt.
Nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 protestierten belarussische Athlet*innen und Personen aus dem Sport gegen das Wahlergebnis und die politische Führung von Belarus. Diesem legitimen Protest wurde mit Repressalien begegnet: Die BSSF konnte nach unseren Informationen bis zum heutigen Tage mehr als 70 Fälle von Repressalien dokumentieren, die teils psychische und physische Gewaltanwendung sowie Inhaftierungen umfassten.
Die Präsidentin der BSSF, die Schwimmerin Aliaksandra Herasimenia, und Aliaksandr Apeikin, Geschäftsführer der BSSF, stehen seit April 2021 selbst im Fadenkreuz der belarussischen Justiz. Ihnen steht ein Strafverfahren wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit bevor. Es haben Hausdurchsuchungen stattgefunden; beide stehen auf einer Fahndungsliste. Sie werden beschuldigt, Athlet*innen, „die für die Verletzung der Gesetze der Republik Belarus verantwortlich gemacht wurden“, zu unterstützen und Falschinformationen über die Wahlen im Sommer 2020 verbreitet zu haben.
Das mutige Engagement der belarussischen Athletenbewegung und ihr Einsatz für Menschen- und Athletenrechte trug entscheidend dazu bei, dass das IOC Ende 2020 weitreichende Sanktionen gegen das belarussische Nationale Olympische Komitee veranlasste. Athleten Deutschland steht seit Herbst 2020 in engem Austausch mit der BSSF; hat mit offenen Briefen an das IOC und an die deutsche Politik auf die menschenrechtliche Verantwortung des Sports in der dortigen Lage und die Situation der belarussischen Athlet*innen aufmerksam gemacht.
Heute drücken wir der BSSF und im Besonderen Frau Herasimenia und Herrn Apeikin unsere Solidarität aus, die wir als zuverlässige Partner*innen zu schätzen gelernt haben. Wir schließen uns den Forderungen weiterer Athletenorganisationen wie der World Players Association und FIFPRO an und fordern die sofortige Einstellung der Ermittlungen gegen Mitglieder der BSSF, die über Monate und unter schwierigsten Bedingungen die Repressalien des belarussischen Regimes gegen Athlet*innen offenlegten. Internationale Sportorganisationen sollten ihren nicht zu verkennenden Einfluss nutzen, um die Mitglieder der BSSF sowie die belarussischen Athlet*innen zu schützen und zu unterstützen.
Die BSSF hat in den vergangenen Monaten zurecht auf Menschenrechtsverletzungen von belarussischen Athlet*innen und Personen aus dem Sport hingewiesen. Die Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen in Belarus ist mit Blick auf die menschenrechtliche Verantwortung von Sportverbänden daher äußerst kritisch zu bewerten; werden diese doch für die Zwecke des Sportswashings von Diktator Lukaschenka instrumentalisiert. Gemeinsam mit seinem Sohn ist und war er als Politiker und (ehemaliger) Sportfunktionär in Personalunion für die Repressalien gegen belarussische Athlet*innen verantwortlich. Für das IOC kommt Belarus derzeit nicht mehr als Ausrichter von Sportgroßveranstaltungen in Frage. Die Eishockey-WM wurde nach wochenlangem Druck verschiedenster Akteure verlegt – nicht zuletzt seitens Politik dies- und jenseits des Atlantiks und Sponsoren.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir im Grundsatz die sich abzeichnende Auseinandersetzung mehrerer Radsportverbände mit der Austragung der im Juni in Belarus stattfindenden Bahnrad-EM.
Maximilian Klein, Beauftragter für Internationale Sportpolitik, kommentiert: „Die bedrohliche Menschenrechts- und Sicherheitslage in Belarus ist leider nicht erst seit der schockierenden Flugzeugentführung am letzten Wochenende bekannt. Der internationale Radsport hatte lange Zeit für Alternativplanungen. Sollte die Teilnahme an der EM in Belarus abgesagt werden, muss dringend und zwingend ein alternativer Austragungsort gefunden werden, um den startenden Athletinnen und Athleten wichtige Wettkampfpraxis und Qualifikationschancen für Olympia zu ermöglichen. Athletinnen und Athleten sollten nicht den Preis dafür zahlen und die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass Sportverbände ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht im Vorfeld und bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen unzureichend nachkommen.“
Zum Hintergrund:
Viele Belange des Sports haben eine menschenrechtliche Komponente und seine Regeln können mit universal geltenden Menschenrechten kollidieren. Dazu gehören extrem gelagerte Fälle, wie etwa die Repressalien gegen Athlet*innen in Belarus, die Verfolgung und Hinrichtung von iranischen Athlet*innen oder Menschenrechtsverletzungen von Personengruppen im Umfeld des Sports, wie zum Beispiel Arbeiter*innen beim Bau von Stadien von Sportgroßveranstaltungen.
Die Protagonist*innen des Sports – die Athlet*innen selbst – sind ebenso als Gruppe zu verstehen, die mit menschenrechtlich problematischen Regelungen und Strukturen konfrontiert wird. Die Schwierigkeiten zur Etablierung unabhängiger Athletenvereinigungen, die Restriktionen der freien Meinungsäußerung auf dem Podium und im Wettbewerbsumfeld, die Ungleichbehandlung von weiblichen und männlichen Athlet*innen, Diskriminierung und Rassismus im Sport, die Einschränkungen der Selbstvermarktung während der Olympischen Spiele und die gravierenden Fälle von Gewalt und Machtmissbrauch gegenüber Athlet*innen sind nur einige Beispiele.
Athleten Deutschland setzt sich deshalb für eine stärkere Auseinandersetzung mit Menschenrechten im Sport ein. Gemeinsam mit einer Vielzahl von Sport- und Menschenrechtsorganisationen fordern wir, dass sich die Olympische Bewegung kohärent zur Achtung und Umsetzung der Menschenrechte in ihrem Wirkungskreis bekennt, eine umfassende Menschenrechtsstrategie umsetzt und einen proaktiven Umgang mit den Menschenrechtsrisiken im Wirkungsbereich des Sports findet.