Menschenrechte, Belarus, Meinungsfreiheit von Athlet*innen, Stimme

Über 300 Fechter*innen fordern das IOC und die FIE auf, den Ausschluss Russlands und Belarus aufrechtzuerhalten.

  • Übersetzung aus dem Englischen –

 

OFFENER BRIEF

Über 300 internationale Fechter*innen fordern das Internationale Olympische Komitee (IOC) und den Internationalen Fechtverband (FIE) auf, den Ausschluss Russlands und Belarus aufrechtzuerhalten.

  1. März 2023

An:    Herrn Dr. Thomas Bach, Präsident, Internationales Olympisches Komitee

Herrn Emmanuel Katsiadakis, Interimspräsident, Internationaler Fechtverband

CC:    Frau Emma Terho, Vorsitzende, Athletenkommission des IOC

Herrn Rubén Limardo Gascon, Vorsitzender, Athletenkommission der FIE

Sehr geehrter Herr Dr. Bach, sehr geehrter Herr Herr Katsiadakis,

In Ihrer Funktion als Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des Internationalen Fechtverbandes (FIE) wenden wir uns an Sie wegen Ihrer Bestrebungen, russische und belarussische Sportler wieder an internationalen Sportwettkämpfen teilnehmen zu lassen. Unter völliger Missachtung der Stimmen der Athlet*innen haben Sie sowohl Russland als auch Belarus wieder zu FIE-Wettbewerben zugelassen, ebenso wie zu einem mutmaßlichen Turnier auf russischem Boden. Dies ist ein klarer Widerspruch zur Position des IOC, wonach „keine internationalen Sportveranstaltungen von einem internationalen Sportverband oder NOK in Russland oder Belarus organisiert oder unterstützt werden sollen“, und zeigt einmal mehr, dass russische Interessen wichtiger sind als die Stimme und die Rechte der Athlet*innen, insbesondere derjenigen aus der Ukraine.

Russlands Aggression verstößt nicht nur gegen die Normen des Völkerrechts, sondern auch gegen die grundlegenden Werte des Olympismus, darunter Frieden, Völkerverständigung, die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte. Solange der von Belarus unterstützte russische Angriffskrieg andauert, müssen die Sportler*innen und Funktionäre beider Staaten vom Weltsport ausgeschlossen bleiben. Angesichts der jüngsten Eskalation der Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung sollte es derzeit keinen Grund geben, Russland und Belarus wieder in den Weltsport zurückkehren zu lassen. Eine Wiedereingliederung würde einen Präzedenzfall schaffen, bei dem eine Nation die Werte und Regeln des Sports und der internationalen Sicherheit verletzen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Bis heute hat Russlands Aggression gegen die Ukraine dazu geführt, dass 232 Sportler getötet, 343 Sporteinrichtungen zerstört, 40.000 Sportler*innen zur Flucht ins Ausland gezwungen und 140.000 junge Sportler*innen ohne gute Trainingsmöglichkeiten zurückgelassen wurden. Die internationale Gemeinschaft ist sich vollkommen darüber im Klaren, dass im Fall der russischen und belarussischen Sportler*innen die Trennung zwischen Sport und Staat kaum vollzogen werden kann. Diese Athlet*innen wurden nicht nur vom Russischen Olympischen Komitee ermutigt, im Krieg zu kämpfen. Die große Mehrheit von ihnen bekleidet auch Positionen im Militär und im Staatsapparat. Sie sind auch Nutznießer staatlicher Finanzierung: Sie beziehen ihr Gehalt aus Putins Kriegskasse und machen damit jede Trennung zwischen Staat und Athlet *innen unmöglich. Die Athlet*innen wurden und werden für Putins Propaganda instrumentalisiert. Wettkämpfe unter neutraler Flagge haben sich in der Vergangenheit nicht als geeignetes Sanktionsinstrument erwiesen und sind es auch jetzt nicht.

Außerdem scheint die Stellungnahme der UN-Sonderberichterstatter*innen, auf die sich das IOC in seinen Erklärungen bezieht, keine umfassende menschenrechtliche Bewertung vorzunehmen. Im Gegensatz dazu kommt ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten von Prof. Patricia Wiater, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, zu dem Schluss, dass ein kollektiver Ausschluss der russischen Athlet*innen zulässig und trotz Ungleichbehandlung nicht als Verstoß gegen internationale Diskriminierungsverbote zu werten ist. Zudem sind Meinungsumfragen, wie sie jüngst vom IOC durchgeführt wurden, weder geeignet, über die Rechte und das Schutzbedürfnis der ukrainischen Athlet*innen zu entscheiden, noch sind sie geeignet, die Zulässigkeit von Kollektivausschlüssen zu bestimmen.

Wir glauben, dass der Sport Antworten finden muss, um mit Staaten umzugehen, die die Werte des Sports verletzen, die den Sport absichtlich als politisches Instrument einsetzen und die gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstoßen. Wir verstehen, dass das IOC und die internationalen Sportverbände mit Sanktionen und Ausschlüssen einen schmalen Grat beschreiten, da der Sport eine verbindende und friedensstiftende Aufgabe hat. Seine politische Neutralität ist für den Sport von grundlegender Bedeutung, um sich vor Instrumentalisierung zu schützen und so weit wie möglich global tätig zu sein. Diese Neutralität darf jedoch nicht als Vorwand dienen, um schwerwiegende Verletzungen der allgemein anerkannten Menschenrechte zu akzeptieren und möglicherweise sogar zu tolerieren.

Im Namen von über 300 aktiven und ehemaligen Fechter*innen fordern wir Sie in Ihrer Führungsfunktion im IOC auf, die von Ihnen empfohlenen Suspendierungen der russischen und belarussischen Fechtverbände und Nationalen Olympischen Komitees aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass sich die FIE an Ihre Richtlinien hält. Jede Suspendierung muss den Neutralitätsgedanken zurückweisen und den Ausschluss Russlands und Belarus aus dem Weltsport beinhalten. Dazu gehören auch die Ausrichtung von Veranstaltungen, die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris und die Teilnahme an diesen Spielen, bis sich Russland vollständig aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet zurückgezogen hat. Wir erwarten auch eindeutige Zusicherungen, friedliche Antikriegsproteste und Solidaritätsbekundungen von Athlet*innen mit der Ukraine bei internationalen Wettkämpfen zu unterstützen und zu schützen.

Die jüngsten Ereignisse im Fechtsport bleiben alarmierend. Die vermeintliche Genehmigung der FIE an Russland, ein Turnier in Moskau auszurichten, ist ein klarer Verstoß gegen die ohnehin schwachen IOC-Richtlinien. Die Rückkehr russischer Athlet*innen zu internationalen Wettkämpfen hat die ukrainischen Opfer des Krieges zum Rückzug gezwungen, während der Aggressor auf seinem Weg zurück auf die Weltbühne des Sports hofiert wird. Aufgrund dieser Ignoranz seitens der FIE und der nationalen Fechtverbände sind es wieder einmal die Athlet*innen, die die Verantwortung tragen und zu individuellen Abwägungen über Boykottentscheidungen gedrängt werden. Die Athlet*innen werden in diesem Chaos allein gelassen. Diese Verantwortungslosigkeit riskiert weiterhin Kollateralschäden für diejenigen, die sich gegen den Krieg aussprechen, aus Überzeugung den Wettkämpfen fernbleiben und vielleicht sogar auf Qualifikations- und Fördermöglichkeiten verzichten.

Die FIE kommt ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Athlet*innen, insbesondere gegenüber den Ukrainer*innen, nicht nach. Ihr Versagen beim vollständigen Ausschluss Russlands und Belarus wird von Athlet*innen und der Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt angeprangert. Sie haben die Interessen Russlands und Belarus über die Rechte der Athlet*innen, insbesondere der ukrainischen Athlet*innen, gestellt, und damit versäumen Sie es, genau die Menschen zu unterstützen, für die die Verbände eigentlich da sein sollten. Dieser ungeheuerliche, einseitige Angriffskrieg und der Bruch des Olympischen Friedens dürfen nicht ignoriert oder gar gebilligt werden. Es wäre ein katastrophaler Fehler, zur Tagesordnung überzugehen, und deshalb fordern wir Sie erneut auf, die Suspendierungen Russlands und Belarus aufrechtzuerhalten.

Im Namen von mehr als 300 internationalen Fechter*innen

Unterstützt von Athleten Deutschland und Global Athlete