IOC muss sich von offener Drohung distanzieren und Meinungsfreiheit der Athlet*innen schützen
Berlin, 20. Januar 2022. Laut Medienberichten habe ein Mitglied des chinesischen Organisationskomitees in Richtung ausländischer Athlet*innen gedroht, dass „jedes Verhalten oder jede Äußerung, die gegen den olympischen Geist und insbesondere gegen die chinesischen Gesetze und Vorschriften“ verstoße, „ebenfalls mit bestimmten Strafen geahndet“ werde.
Diese offene Drohung gegen Athlet*innen bereitet uns Angst und Sorgen. Sie spricht aus, was lang vermutet wurde: Die Meinungsfreiheit der Athlet*innen ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewährleistet. Es steht zu befürchten, dass Meinungsäußerungen bei den Spielen mit Repressalien und Nachteilen beantwortet werden.
Maximilian Klein, Beauftragter für internationale Sportpolitik: „Das IOC und das Gastgeberland China werden sich gerne für ihre Zwecke mit den Bildern der Athletinnen und Athleten schmücken. Allerdings lassen sie nicht zu, dass Athletinnen und Athleten selbst darüber entscheiden, ob und wie sie ihre Plattform und Reichweite im Rahmen ihrer Meinungsfreiheit nutzen wollen. Wir erwarten, dass sich das IOC klar von den Aussagen des Organisationskomitees distanziert. Es muss Farbe bekennen und sich schützend vor die Athletinnen und Athleten stellen.“
Das IOC muss darlegen, wie es die Rechte und den Schutz der Athlet*innen gewährleisten wird. Es braucht ferner ein transparentes Verfahren, das die bestehende Unsicherheit zu Konsequenzen und Risiken möglicher Meinungsäußerungen auflöst und damit Druck von den Athlet*innen nimmt. Beispielsweise bleibt unklar, was die offiziellen IOC-Bestimmungen zur Regel 50 im chinesischen Kontext implizieren, wenn Athlet*innen die „geltenden Gesetze“ bei Meinungsäußerungen respektieren sollen.
Durch die jüngste Drohung des Organisationskomitees bestehen erhebliche Zweifel, ob die Teilnehmenden adäquaten Schutz erfahren werden. Das Risiko, das eine Meinungsäußerung während der Spiele mit sich bringt, ist schwer ein- und abzuschätzen. Aus diesem Grund ist es nachvollziehbar und folgerichtig, wenn Athlet*innen aus reinem Selbstschutz auf Äußerungen verzichten.
Wir sind jedoch der Überzeugung, dass Athlet*innen Wahlfreiheit haben sollen. Allen, die sich innerhalb des menschenrechtlich gedeckten Rahmens zu Anliegen ihrer Wahl äußern wollen, sollte diese Möglichkeit offenstehen. Dafür müssen sie sichere Rahmenbedingungen vorfinden und dürfen keine Angst vor Repressalien haben. In unserer Stellungnahme zur Lockerung der Regel 50.2 haben wir diese Position erläutert.
Immer wieder haben wir im Vorfeld der Spiele ausgeführt und betont, dass das IOC seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen und eine menschenrechtliche Risikoanalyse für die Spiele vorlegen muss. Es muss außerdem zeigen, welche Schritte es zur Minderung dieser Menschenrechtsrisiken unternimmt. Dieser Verantwortung kommt das IOC bisher unzureichend nach.
Ferner ist bekannt, dass bei der Vergabeentscheidung 2015 schriftliche Zusagen zur Einhaltung der Menschenrechte und damit zur Meinungsfreiheit gemacht wurden. Das IOC muss diese Zusagen vor den Spielen veröffentlichen und erklären, wie deren Einhaltung sichergestellt und kontrolliert wird.
Das IOC sollte nun alles dafür tun, Vertrauen wiederherzustellen und seinen Sorgfalts- und Fürsorgepflichten glaubwürdig nachzukommen. Mit Blick auf die jüngsten Enthüllungen zu IT-Sicherheitslücken und offenen Drohungen gegen Athlet*innen können wir derzeit keinen glaubwürdigen Kursschwenk erkennen.