Reaktion: IOC-Empfehlung zur bedingten Wiederzulassung russischer Athlet*innen
Berlin, 28. März 2023. Athleten Deutschland ist enttäuscht von der erwartbaren Empfehlung des IOC an die Weltverbände, russische und belarussische Athlet*innen unter Auflagen im internationalen Sport wieder zuzulassen. Das IOC setzt sich für Frieden und Völkerverständigung ein. Es trifft diese Entscheidung zu einem Zeitpunkt, an dem Russland den Angriffskrieg mit unverminderter Härte weiterführt und dabei täglich Opfer unter den Ukrainer*innen in der Zivilbevölkerung und Athletenschaft fordert.
Wir halten die Wiederzulassung für manche Athlet*innen unter Auflagen für falsch. Dieses Instrument ist aus unserer Sicht nicht geeignet, die Instrumentalisierung des Sports und der Athlet*innen für Putins Kriegspropaganda zu unterbinden. Ein kollektiver Ausschluss wäre – nach mehrfachen Brüchen mit den Werten und Regeln der Olympischen Bewegung – ein geeignetes und legitimes Mittel gewesen, auch ohne gegen Diskriminierungsverbote zu verstoßen. In den Empfehlungen des IOC kommt eine differenzierte Abwägung der Rechte und Schutzbedürfnisse von ukrainischen Athlet*innen auf der einen und russischen Athlet*innen auf der anderen Seite zu kurz.[1]
Die Empfehlung, Angehörige des Militär- und Sicherheitsapparats sowie Mannschaften auszuschließen, kann nur als Minimallösung bewertet werden. Immerhin dürfte damit das Gros der Athlet*innen ausgeschlossen werden. Dennoch sind wir besorgt, dass auch die Wiederzulassung unter Auflagen insbesondere ukrainische Athlet*innen, die Opfer dieses Angriffskrieges, zum Rückzug aus dem internationalen Sport drängen könnte.
Die Kriterien zur Neutralität von Individualathlet*innen („Individual Neutral Athletes AIN“) wurden spezifiziert. Sie dürften jedoch kaum verhindern, dass Einzelathlet*innen, ob mit oder ohne aktive Kriegsunterstützung, für Putins Kriegspropaganda benutzt werden. Darüber hinaus hat es das IOC erneut verpasst, eine unabhängige Aufarbeitung der gezielten russischen Vereinnahmung von Teilen des internationalen Sports anzukündigen.
Insgesamt lassen die Empfehlungen zahlreiche Fragen im Umgang mit Russland und Belarus im Weltsport ungeklärt, was weiter für Unsicherheit unter Athlet*innen sorgen dürfte. Die nationalen und internationalen Verbände sind nun in der Pflicht, sich schützend vor die Athlet*innen zu stellen, auf die Rechte und Schutzbedürfnisse der Ukrainer*innen zu achten, auf Umsetzung und Überwachung der Vorgaben zu drängen und die Athlet*innen in der kommenden Zeit nicht allein zu lassen. U.a. folgende Fragen stellen sich uns:
- Die Empfehlungen können von Weltverbänden umgangen oder unterschiedlich implementiert werden. Wie wird eine Harmonisierung in der Umsetzung der Empfehlungen sichergestellt? Wie wird organisierter Verantwortungslosigkeit zwischen IOC und den Weltverbänden, wie sie Athlet*innen oft in der Vergangenheit erleben mussten, vorgebeugt?
- Kann mit den vorgelegten Empfehlungen verhindert werden, dass Angehörige des Militär- und Sicherheitsapparats ihre Zugehörigkeit verschleiern? Was passiert, wenn Athlet*innen nun als Zivilisten und nicht mehr als Angehörige des Militär- und Sicherheitsapparats staatliche Förderung erhalten?
- Wie weit reichen die Kriterien für aktive Kriegsunterstützung (in Russland), etwa im Nachgang an internationale Wettbewerbe?
- Wie werden die Kriterien aktiver Kriegsunterstützung der russischen und belarussischen Athlet*innen im In- und Ausland überprüft? Findet ein fortlaufendes Monitoring, etwa auf Social Media, statt?
- Wie werden sich Untersuchungs- und Verfahrenswege in solchen Fällen gestalten? Werden sich die Weltverbände – wie empfohlen – auf eine einheitliche unabhängige Schiedsgerichtsbarkeit einigen? Was, wenn nicht?
- Wie soll – trotz der Neutralitätskriterien – eine politische Instrumentalisierung der verbleibenden Athlet*innen durch Dritte für Zwecke der Kriegspropaganda verhindert werden?
- Wie wird mit Begegnungen zwischen ukrainischen und russischen Athlet*innen umgegangen?
- Was passiert, wenn (ukrainische) Athlet*innen Wettkämpfe gegen russische Athlet*innen boykottieren?
- Werden Protestaktionen gegen den Krieg und Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine vom IOC und den Verbänden unterstützt und/oder toleriert? Bleiben sie sanktionsfrei und werden demonstrierende Athlet*innen geschützt?
- Das IOC hat ein Monitoringverfahren zur Überwachung der Regelungen und Bedingungen angekündigt. Wird dieses transparent gestaltet und wird fortlaufend an die Athlet*innen und die Öffentlichkeit berichtet?
- Was werden die Kriterien des IOC für eine Entscheidungsfindung zur Teilnahme an den kommenden Sommer- und Winterspielen sein? Wann werden diese preisgegeben?
- Wie kann noch nachvollzogen werden, dass russische Athlet*innen in den letzten Monaten lückenlosen und unabhängigen Dopingkontrollen unterzogen wurden und wie werden regelmäßige Tests und deren Analyse momentan gewährleistet?
- Wie viel Vertrauen kann noch in die Wirksamkeit des russischen Dopingkontrollsystems gesteckt werden, nachdem Russland den Weltsport systematisch betrogen und die RUSADA immer noch keine Wiederzulassung hat?
[1] Eine solche Analyse lieferte Prof. Patricia Wiater mit ihrem menschenrechtlichen Gutachten für den DOSB. Demnach sei ein kollektiver Ausschluss der russischen Athleten zulässig und trotz Ungleichbehandlung nicht als Verstoß internationaler Diskriminierungsverbote zu bewerten.