Athletenvertreter*innen fordern in Gemeinsamer Erklärung Änderungen am Sportfördergesetz
Berlin, 5. November 2024. 80 Athletenvertreter*innen aus 47 Verbänden fordern an der Seite von Athleten Deutschland substanzielle Änderungen am Entwurf des Sportfördergesetzes, um die Situation der Athlet*innen entscheidend zu verbessern. Dies geht aus ihrer heute veröffentlichten Gemeinsamen Erklärung zum Sportfördergesetz hervor, die u.a. Athletenvertretungen aus etwa 80 Prozent der Spitzenverbände mit olympischen Disziplinen unterzeichnet haben.
Gemeinsam fordern wir,
- ein Recht auf angemessene Absicherung von Kaderathlet*innen gesetzlich zu verankern. Dazu zählen Mutterschutz, monatliche finanzielle Förderung, Altersvorsorge und umfassenden Versicherungsschutz, etwa im Krankheitsfall,
- rechtlich eigenständige Athletenvertretung in Form Athleten Deutschlands in den Aufsichtsgremien der Leistungssportagentur zu gewährleisten und
- Schutz sowie faire Arbeitsbedingungen für Athlet*innen und Trainer*innen als Gesetzesziele zu verankern und zur Fördervoraussetzung zu erheben.
Mehrheitlich und deutlich formulierte Anliegen der Athlet*innen nicht länger ignorieren
Athleten Deutschland brachte sich mit einer umfassenden Stellungnahme beim federführenden Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) im Rahmen der sog. Verbändebeteiligung samt ausführlicher Analysen und juristisch geprüfter Änderungsvorschläge ein, die jedoch keine nennenswerten Verbesserungen am Gesetz im Sinne der Athlet*innen nach sich zogen.
Die Stoßrichtung des Sportfördergesetzes, die Förderverfahren im Spitzensport effizienter und besser zu gestalten, unterstützt Athleten Deutschland. Das Gesetz kann einen Paradigmenwechsel in der Förderung des Spitzensports bedeuten. Zahlreiche Ansätze im Gesetz bewerten wir positiv und anschlussfähig für Nachbesserungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren, darunter Öffnungsklauseln für die Verbesserung der Absicherung von Athlet*innen, Bekenntnisse zur Verankerung von Menschenrechts- und Integritätsstandards sowie die Schaffung eines Individualbudgets für Athlet*innen.
Karla Borger, Beachvolleyballerin und Präsidentin von Athleten Deutschland, stellt fest: „Angesichts der regelmäßigen politischen Bekenntnisse zur zentralen Stellung von Athletinnen und Athleten im Spitzensport ist es unerklärlich und den Athletinnen und Athleten kaum vermittelbar, dass deren in großer Mehrheit und Deutlichkeit formulierte Ansinnen weitgehend unberücksichtigt und bislang ohne nennenswerte Ergebnisse bleiben.“
Maximilian Klein, stellv. Geschäftsführer von Athleten Deutschland, ergänzt: „Insbesondere legt der Gesetzesentwurf der eigenständigen Athletenvertretung in den Gremien der Spitzensportagentur Steine in den Weg, indem die Verantwortlichen am Entsendungsrecht des DOSB über die Besetzung der Athletenvertretung festhalten. Damit wird nicht nur der formulierte Mehrheitswille der Athletenvertreterinnen und -vertreter ignoriert, sondern auch die bisherige Förderpraxis des Bundes zur Unterstützung unabhängiger Athletenvertretung in Form Athleten Deutschlands konterkariert.“
Auch die Beschlusslage des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages aus 2023, der die Bundesregierung zur Gewährleistung von Athletenvertretung aus eigener Souveränität in der Agentur aufforderte und dies zur Bedingung für die Mittelfreigabe machte, wird damit fortwährend übergangen (s. hier, S. 28 f.).
Bedürfnisse der Menschen im Spitzensport in den Mittelpunkt stellen
Maximilian Klein: „Stand jetzt bleibt das Gesetz weit unter seinen Möglichkeiten und droht seine historisch einmaligen Chancen zu verspielen. Nach mehr als zehn Jahren erfolgloser Strukturreformen erwarten die Athletinnen und Athleten völlig zurecht, dass ihre Anliegen mit derselben Ernsthaftigkeit und Energie verfolgt werden wie die ebenso berechtigten Anliegen der Verbände. Unser bisheriger Eindruck des Gesetzgebungsverfahrens ist, dass die Kritik und Forderungen des organisierten Sports Vorrang genießen. Die bisherigen Entwürfe weisen eine Unwucht zugunsten der Förderung von Strukturen auf.“
Karla Borger fordert deshalb: „Damit alle gewinnen, ist es höchste Zeit, endlich die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen in den Blick zu nehmen, die das System mit ihren Leistungen tragen. Die Erwartungen von Politik und Gesellschaft an uns sind hoch. Wir erwarten im Gegenzug angemessene Absicherung, die Achtung unserer Mitbestimmungsrechte, faire Arbeitsbedingungen und ausreichend Schutz. Die bisherigen Entwürfe des Sportfördergesetzes verpassen es, unsere Belange in ausreichendem und möglichem Maße zu berücksichtigen. Nur jetzt können noch die richtigen Weichenstellungen für sportliche Erfolge bei möglichen Olympischen und Paralympischen Heimspielen 2040 vorgenommen werden.“
Unsere Forderungen im Überblick:
- Absicherung: Die hohen Anforderungen und Risiken für Athlet*innen erfordern ein Mindestmaß an sozialer und finanzieller Sicherheit. Die bisherigen Fördermaßnahmen reichen für eine angemessene Mindestabsicherung der Athlet*innen nicht aus. Wir fordern die Verankerung eines gesetzlichen Anspruchs auf materielle und soziale Absicherung von Kaderathlet*innen für eine Mindestdauer von 24 Monaten gegenüber der Leistungsportagentur, unabhängig von der Förder- oder Anstellungssituation. Die vorgeschlagene Regelung schließt Schutzlücken und beinhaltet Absicherungen, wie sie in Arbeitsverhältnissen üblich sind. Sie sieht zudem Einkommensobergrenzen, Regelungen zur Vermeidung von Doppelförderungen und einer Priorisierung bei knappen Haushaltsmitteln vor.
- Vertretung: Die Leistungssportagentur wird zentrale Entscheidungen im Spitzensport treffen, die unmittelbar Einfluss auf die Athlet*innen haben. Der aktuelle Entwurf verhindert eine unabhängige Athletenvertretung in den Aufsichtsgremien. Das vorgesehene Entsendungsrecht des DOSB über die Besetzung der Athletenvertretung widerspricht dem Mehrheitswillen der Athletenvertreter*innen in der Gemeinsamen Erklärung, die sich explizit gegen dieses Kontrollrecht und für die Verankerung von Athleten Deutschland in den Aufsichtsgremien der Agentur aussprechen.
- Schutz: Risiken wie Gewalt, Machtmissbrauch, Willkür und intransparente Entscheidungen sind Teil der Arbeitsplatzerfahrung vieler Athlet*innen. Staat und Sport sind in der Pflicht, sie zu schützen. Der Gesetzesentwurf kommt dieser Schutzpflicht ungenügend nach. Wir fordern, dass Schutz und faire Arbeitsbedingungen als zentrale Ziele im Sportfördergesetz verankert werden. Schließlich soll eine Fördervoraussetzung eingeführt werden, die finanzielle Zuwendungen an die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten bindet, einschließlich geeigneter Abhilfemechanismen.
Kampagne #MedaillenMitSicherheit startet
Hinter den Forderungen von Athleten Deutschland und der Athletenvertreter*innen haben sich in den vergangenen Monaten eine Vielzahl weiterer Sportler*innen aus den Olympischen und Paralympischen Disziplinen versammelt. In einer Kampagne mit dem Claim „Medaillen mit Sicherheit“ werden sie im Hinblick auf das weitere Gesetzgebungsverfahren auf die Umsetzung der drei Forderungen pochen.
Darunter sind u.a. Tischtennisspieler Dimitrij Ovtcharov, mehrfacher Olympia-Medaillengewinner im Tischtennis, Lisa Mayer und Alexandra Burghardt, beide Bronze-Gewinnerin in der Sprintstaffel in Paris, Anna-Maria Wagner, Judoka und Fahnenträgerin in Paris, Markus Rehm, Weitspringer und fünffacher Olympiasieger oder Gina Böttcher, Schwimmerin und Silber-Gewinnerin in Paris. Auch Fußballerin Alexandra Popp und die Hockey-Nationalspieler Nike Lorenz bzw. Mats Grambusch setzen sich für die Forderungen ein.
Zum Auftakt äußern sich folgende Athlet*innen:
Fabienne Königstein, Langstreckenläuferin und Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland, sieht großen Nachholbedarf beim Thema Absicherung der Athlet*innen und richtet einen dringenden Appell an die Politik. Aus ihrer eigenen Erfahrung als Leistungssportlerin und junge Mutter berichtet sie: „Während meiner Schwangerschaft bin ich aus dem Bundeskader ausgeschieden, als selbständige Sportlerin habe ich keine Absicherung – dazu zählt auch fehlender Mutterschutz. Das zeigt die steilen Abhängigkeitsverhältnisse, in denen wir gegenüber unseren Verbänden stehen und wie fragil unsere Karrieren sind. Mit dem Sportfördergesetz können diese Risiken bedeutend gemindert werden.“
Julian Weber, Europameister und Vize-Europameister im Speerwurf und Athletenvertreter im Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), spricht sich für einen eigenständigen Platz für Athleten Deutschland in der Sportagentur aus: „Wir möchten in wegweisende Entscheidungen, die unsere Laufbahn unmittelbar beeinflussen, miteinbezogen werden. Athletinnen und Athleten brauchen eine eigenständige und professionelle Vertretung, die nur unserer Gruppe verpflichtet ist. Ohne eine unabhängige Interessensvertretung in der Sportagentur fehlt mir die Überzeugung, dass unsere Stimme gehört wird und für die gewünschten Verbesserungen sorgt.“
Mats Grambusch: Fairplay – auf und neben dem Platz. Wenn wir Sportler uns an Regeln halten, dürfen wir das auch von Verbänden, Funktionären und Trainer erwarten.
Spezialisierte Rechtsexpertise einbezogen
Bei der Überprüfung des Gesetzgebungsvorhabens und der Ausarbeitung von rechtlich tragfähigen Modellen zur besseren Absicherung von Athlet*innen erhielt Athleten Deutschland umfassende Unterstützung aus einem spezialisierten Team aus Arbeits- und Sportrechtler*innen um Michael Kintrup, Dr. Julia Kleen und Dr. Jan Friedrich Beckmann:
„Unsere rechtliche Prüfung hat ergeben, dass ein Anspruch schutzbedürftiger Spitzenathletinnen und -athleten auf bestimmte staatliche Leistungen im Sinne einer Grundabsicherung konkret im Sportfördergesetz verankert werden sollte. Dies gilt für alle Spitzenathlet*innen, bei denen ein entsprechender Bedarf besteht, und unabhängig davon, ob die förderungswürdigen Athlet*innen Selbstständige oder Arbeitnehmerin*innen sind oder ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt”, sagt Kintrup und führt zusätzlich aus: „Wir können außerdem bestätigen, dass Athleten Deutschland ein Sitz in der Agentur ohne stichhaltige rechtliche Vorbehalte eingeräumt werden kann.“
Weiterführende Informationen und Materialien:
- Gemeinsame Erklärung der Athletenvertreter*innen zum Sportfördergesetz
- Ausführliche Stellungnahme von Athleten Deutschland zum Sportfördergesetz samt Analysen und Änderungsvorschlägen
- Übersicht über unsere Forderungen
- Zusammenfassung: Forderung nach angemessener Mindestsicherung
- Zusammenfassung: Forderung nach eigenständiger Athletenvertretung
- Zusammenfassung: Forderung nach ausreichend Schutz und fairen Arbeitsbedingungen
- Synopse zur Nachvollziehbarkeit der Änderungen am Sportfördergesetz über den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens
- Stellungnahme zum Sportfördergesetz im März 2024
- Stellungnahme zum Sportfördergesetz im Dezember 2023
Alle Informationen und neuesten Entwicklungen können auch auf unserer eigens eingerichteten Kampagnenwebsite zum Sportfördergesetz eingesehen werden.