Missbrauchsvorwürfe im Tennis: Betroffenensensibel handeln, Aufarbeitung angehen
Berlin, 5. April 2023. Ende März wurden Anschuldigungen zu Gewalt- und Missbrauchshandlungen gegenüber einem hochrangigen Präsidiumsmitglied des Deutschen Tennis Bunds (DTB) öffentlich. Athleten Deutschland steht dem Betroffenen, dem ehemaligem Spieler Maximilian Abel, und seinem Umfeld seit letztem Jahr beratend und unterstützend zur Seite.
Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Verbandsführung nach Kenntnisnahme der Vorwürfe das Gespräch mit dem Betroffenen suchte und anschließend eine externe Kanzlei mit Untersuchungen beauftragte. Unserer Einschätzung nach nahmen Verband und Kanzlei die Vorwürfe ernst und widmeten sich diesen mit Sorgfalt. Im Umgang mit Maximilian Abel lässt der DTB allerdings – wie nachfolgend dargestellt – die notwendige Sensibilität vermissen.
Die Verbandsführung ließ durch externe Dritte gegen ein Mitglied des eigenen Präsidiums ermitteln. Neben Anhörungsgesprächen mit mehreren Personen unterzog sich der Betroffene selbst im Sommer 2022 einem mehrstündigen aussagepsychologischen Gutachten. Die Fallkonstellation und der Aufklärungsprozess stellten sich als kompliziert dar und bargen Risiken für eine betroffenenzentrierte Aufklärung. Athleten Deutschland konnte offene Fragen und Gefahrenpotenziale gegenüber dem Verband bzw. der externen Kanzlei im Laufe der Untersuchungen ansprechen.
Obwohl der Verband Ende März öffentlich zu dem Fall und den Untersuchungen kommunizierte, liegen nach unserem Wissen weder Herrn Abel noch seinem Anwalt der Abschlussbericht der Untersuchungen und das Gutachten vor. Zudem wurden angekündigte Fristen entweder verschoben oder nicht eingehalten. Wenngleich plausible Gründe für diese Verzögerungen vorliegen können, so gestaltete sich die Kommunikation des Verbandes gegenüber dem Betroffenen weder als proaktiv noch als betroffenensensibel.
Dr. Thomas Galli, Rechtsanwalt von Maximilian Abel, kommentiert:
„Mein Mandant Maximilian Abel ist vom Präsidium des Deutschen Tennis Bunds sehr enttäuscht. Das Ergebnis der über ein Jahr andauernden internen Überlegungen und Ermittlungen zu den von ihm erhobenen Missbrauchsvorwürfen hat er erst durch die Pressemitteilung des DTB erfahren. Wenn der DTB, der erst aufgrund des medialen Drucks eine klarere Haltung entwickelt hat, nun öffentlich verkündet, dass allen Opfern von Gewalt sein Mitgefühl und seine Unterstützung gelte, dann empfindet mein Mandant dies als zynisch.
Aus meiner Sicht hat Herr Abel mit seinen offenen Aussagen den Mut bewiesen, der der DTB-Führung leider gefehlt hat. Opfer von Gewalt und Missbrauch werden so gerade nicht ermutigt, sich zu offenbaren. Es steht zu befürchten, dass mein Mandant nun die Rechtsstreitigkeiten ausfechten muss, die der DTB durch sein taktisches Agieren offensichtlich vermeiden will. Der Verband sollte meinen Mandanten hierbei zumindest künftig unterstützen.“
Maximilian Klein, Direktor für Sportpolitik bei Athleten Deutschland:
„Wir begrüßen, dass der DTB nach Veröffentlichung der Vorwürfe Konsequenzen forderte. Eine öffentliche Anerkennung des Leids und eine Verantwortungsübernahme als Institution hat unseres Wissens jedoch noch nicht stattgefunden. Ein erster Schritt in diese Richtung kann die wichtige Ankündigung des Verbands sein, einen Aufarbeitungsprozesses mit externer und wissenschaftlicher Unterstützung einzuleiten. Mit diesem Vorhaben würde sich ein weiterer Verband im organisierten Sport einem Aufarbeitungsprozess stellen.
Um Vertrauen wiederaufzubauen, sollten diesen Ankündigungen nun aber Taten, Transparenz und eine betroffenensensible, umsichtige Kommunikation folgen. Dem Betroffenen sollte der Abschlussbericht zugänglich gemacht werden. Der Verband sollte einen ehrlichen und offenen Umgang mit den Geschehnissen finden und nicht länger nur auf externen Druck hin reagieren.
Ein solcher Aufarbeitungsprozess sollte sich an den Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und der dsj orientieren. Er muss unabhängig, transparent und betroffenenzentriert durchgeführt werden. Das Unrecht der Vergangenheit sollte anerkannt werden, widerfahrenes Leid Wiedergutmachung erfahren. Der Tennissport sollte Fehlverhalten, auch innerhalb der eigenen Verbandsstrukturen, aufdecken und Ableitungen für die Zukunft treffen.
Wenn Aufrufe an Betroffene zur Kontaktaufnahme erfolgen, sollten diese einerseits breit und sichtbar kommuniziert werden, andererseits auch immer die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit unabhängigen Anlaufstellen beinhalten. Anlauf gegen Gewaltkann eine solche Anlaufstellenfunktion, auch im Zuge der kommenden Aufarbeitungsprozesse, für den Leistungssport wahrnehmen.
Die komplizierte Konstellation im vorliegenden Fall verdeutlicht erneut den Bedarf, mit den Untersuchungs- und Sanktionskapazitäten eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport sichere Prozesse für Betroffene und Verbände gleichermaßen zu gewährleisten, um Interessenkonflikte und beschränkte Handlungsmöglichkeiten von Beginn an auszuschließen. Das Zentrum soll perspektivisch auch die unabhängige Durchführung von Aufarbeitungsprozessen im Sport sicherstellen.
Informationen für Betroffene und Ratsuchende
Die unabhängige Anlaufstelle Anlauf gegen Gewalt ist eine Initiative von Athleten Deutschland für Leistungssportler*innen, die psychische, physische und/oder sexualisierte Gewalt erfahren oder in Vergangenheit erfuhren.
Die Anlaufstelle ist telefonisch unter 0800 90 90 444 (montags 11 bis 14 Uhr und donnerstags von 16 bis 19 Uhr) oder per E-Mail unter kontakt@anlauf-gegen-gewalt.org erreichbar.
Neben telefonischer und/oder schriftlicher Beratung bietet Anlauf gegen Gewalt bei Bedarf auch psychotherapeutische und/oder rechtliche Erstberatung an. Der Erstkontakt ist selbstverständlich auch anonym möglich. Betroffenen steht zudem die Möglichkeit offen, von unseren Expertinnen längerfristig und weitergehend begleitet und unterstützt zu werden.