Menschenrechte, Gewalt und Missbrauch, Pressemitteilung, Schutz

Reaktion auf die Veröffentlichung des Safe Sport Codes

Berlin, 23. Oktober 2024. Athleten Deutschland beglückwünscht den DOSB und seine Mitgliedsorganisationen zum Vorhaben, sich mit einem Safe Sport Code ein Regelwerk zum Schutz vor und zur Bekämpfung von interpersonaler Gewalt im Sport zu geben. Damit betritt der organisierte Sport – insbesondere im Vergleich zu anderen Institutionen – Neuland. „Wir erkennen das umfassende Engagement des DOSB im Handlungsfeld an und wissen um den intensiven Einsatz der Verantwortlichen, zügig Fortschritte zu erzielen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Regelwerk manche Lücken offenlässt, die im Sinne eines besseren Betroffenenschutzes zügig geschlossen werden sollten”, erklärt Maximilian Klein, stellv. Geschäftsführer bei Athleten Deutschland.

Übergreifendes Schutzsystem aus sportinternen und -externen Stellen notwendig 

Die Umsetzung eines Safe Sport Codes bildet die notwendige Rechtsgrundlage, um Menschen im Sport bestmöglich zu schützen, insbesondere unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit. „Für einen wirksamen Umgang mit dem erlittenen Unrecht Betroffener müssen Regelungen harmonisiert, sportinterne Kapazitäten gestärkt und das System zwingend um unabhängige Schutzmechanismen ergänzt werden“, unterstreicht Klein.

Hierbei nimmt das geplante unabhängige Zentrum für Safe Sport eine unverzichtbare Rolle ein. Dafür setzen wir uns nun seit genau vier Jahren – seit einem Hearing der Aufarbeitungskommission im Oktober 2020 – mit Vehemenz und großem Einsatz ein. Das Zentrum wird derzeit unter Federführung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) konzipiert 

Feedback zum Regelwerk vielfach berücksichtigt, Missstandsnorm ungenügend verankert 

Athleten Deutschland durfte dankenswerterweise am Prozess, den der DOSB seit dem Frühjahr zur Finalisierung des Safe Sport Codes ausgerichtet hat, regelmäßig teilhaben. Im Spätsommer nahmen wir die Möglichkeit wahr, im dafür vorgesehenen Rahmen detaillierte Eingaben zur Optimierung des Codes zu machen. „Einige unserer Empfehlungen wurden berücksichtigt, darunter die explizite Verankerung von Betroffenenrechten (Art. 13), die Möglichkeit zur Anrufung einer externen Beschwerdestelle bei unzureichenden sportinternen Verfahren (Art. 21.2) sowie Klarstellungen im Bereich unabhängig durchzuführender Aufarbeitungsprozesse (Art. 17)”, sagt Maximilian Klein und führt weiter aus: „Leider fanden andere wichtige Kritikpunkte keinen Eingang in die erneute Überarbeitung. Besonders hervorzuheben ist hierbei die aus unserer Sicht ungenügende Verankerung von Organisationsmissständen (Art. 5.3). Konkret fehlen zielführende Regelungen, um juristische Personen für strukturelle und kulturelle Defizite in Organisationen zur Verantwortung zu ziehen und verbindlich Abhilfe und damit Verbesserungen herbeizuführen. Eine solche Regelung wäre entscheidend für einen besseren Schutz von Athletinnen und Athleten, da anhaltende strukturelle und kulturelle Defizite in Sportorganisationen Gelegenheitsräume für interpersonale Gewalt und Missbrauch begünstigen können.“

In dieser Hinsicht bleibt das derzeitige Regelwerk hinter den Entwürfen zurück, die DOSB und Athleten Deutschland noch im Frühjahr im Rahmen eines gemeinsam beauftragten Rechtsgutachtens zum Zentrum für Safe Sport samt damaligem Vorschlag für einen Safe Sport Code vorgestellt hatten (§§ 17, 18). Dieser Vorschlag war das Ergebnis eines breit angelegten Feedbackprozesses, an dem zahlreiche Stakeholder inner- und außerhalb des Sports beteiligt waren. 

Folgende Schwerpunkte halten wir für das Gelingen der weiteren Prozesse für zentral: 

  1. Zeitnah müssen stringente Empfehlungen zur Ausgestaltung von Zuständigkeiten inner- und außerhalb des Sportsystems auf den Weg gebracht werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit für Sportorganisationen, ihre Zuständigkeiten auf externe Organisationen, wie etwa das Zentrum für Safe Sport, zu übertragen
  2. Neben der generellen und einzelfallbezogenen Abgabe von Zuständigkeiten erachten wir eine weite Definition von Fallszenarien für die Übertragung an das Zentrum als notwendig. Dies umfasst neben Untätigkeit und Interessenkonflikten auch die explizite Wahlfreiheit für Betroffene: Sportorganisationen sollten Betroffenen die Möglichkeit einräumen, frei zu entscheiden, ob ihre Meldung durch eine Stelle inner- oder außerhalb des Sports bearbeitet wird.
  3. Das Zentrum für Safe Sport sollte mit auskömmlichen Ressourcen ausgestattet werden, um den hohen Erwartungen von Betroffenen und Sportorganisationen von Beginn an gerecht zu werden. Der organisierte Sport sollte sein Bekenntnis zum Zentrum und dessen anvisierten Aufgabenportfolio aufrechterhalten und sich weiter für ein starkes Zentrum mit umfassenden Kompetenzen einsetzen. 
  4. Standards, vor allem in den Bereichen der Intervention und Aufarbeitung, sollten von unabhängiger Seite vom Zentrum in Zusammenarbeit mit Stakeholdern des Sportsystems entwickelt und dann im Sport umgesetzt werden. Safe-Sport-Verfahren, die nach erfolgter Zuständigkeitsabgabe beim Zentrum geführt werden, sollten nach einem beispielgebenden „Gold-Standard“ erfolgen. 
  5. Der Erlass und die Weiterentwicklung des Safe Sport Codes sollten perspektivisch in die unabhängigen Hände des Zentrums für Safe Sport gelegt werden, ähnlich wie bei der Weiterentwicklung der Regeln im Anti-Doping-Kampf. So kann ein möglichst unabhängiger und breit legitimierter Weiterentwicklungsprozess gelingen, der auf stärkere Zustimmung sportexterner Gruppen, z.B. Betroffener, trifft (s. Gutachten S. 39 ff.).
  6. Rückschlüsse aus den aktuellen Prozesslinien sollten dazu genutzt werden, zukünftige Verfahren zu optimieren, insbesondere, da der Erarbeitung des Regelwerks initial nicht das Maß an systematischer Beteiligung vorausgegangen war, wie es für ein Vorhaben dieser Tragweite erforderlich gewesen wäre. Die verkürzte Frist zur Evaluierung und Weiterentwicklung des Regelwerks in zwei Jahren (Art 21.1) wird hierzu eine geeignete Gelegenheit bieten.
  7. Das Deutsche Sportschiedsgericht bei der DIS sollte zeitnah ertüchtigt werden, um einen adäquaten Instanzenzug und damit auch die Schaffung eines echten Schiedsgerichts als geeignete Rechtsmittelinstanz für Safe Sport-Verfahren zu etablieren.