Reaktion auf Enthüllungen zu chinesischem Dopingverdachtsfall: Unabhängige Untersuchungen einleiten und Konsequenzen folgen lassen.
Berlin, 22. April 2024. Athleten Deutschland zeigt sich entsetzt nach den umfangreichen Enthüllungen der ARD-Dopingredaktion und der New York Times zu einem massiven Dopingverdachtsfall aus China.
Léa Krüger, Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland: „Sollten sich die Verdachtsfälle als zutreffend herausstellen, wäre das offenbar nachlässige Agieren der WADA ein Schlag ins Gesicht aller sauberen Athletinnen und Athleten: Sie halten sich an die Regeln. Sie akzeptieren die Beweislastumkehr als tragende Säule des Anti-Dopingkampfs und sie nehmen selbstverständlich die Strapazen des globalen Doping-Kontrollregimes auf sich.
Unser Mitgefühl gilt in erster Linie denjenigen Athlet*innen, die gegen die mutmaßlich gedopten chinesischen Athlet*innen bei Wettkämpfen verloren haben, auch im Kontext der vergangenen Spiele in Tokio. Die entgangenen Lebenshöhepunkte sowie verpasste sportliche und finanzielle Lebenschancen sind unwiederbringlich.“
Maximilian Klein, Direktor für Sportpolitik bei Athleten Deutschland, ergänzt: „Die WADA soll unabhängige Kontroll- und Aufsichtsfunktionen im weltweiten Kampf gegen Doping wahrnehmen. Voraussetzung ist, dass sich vor allem die Athletinnen und Athleten auf ihre Funktionsfähigkeit verlassen und ihr vertrauen können. Umso wichtiger ist es, dass die WADA ihre eigene Integrität durch vorbildliches und transparentes Handeln wahrt.
Der Umgang der WADA mit dem russischen Staatsdopingskandal hat unter Athletinnen und Athleten bereits zu einem massivem Vertrauensverlust geführt, der bis heute nachhallt. Dass die WADA anscheinend abermals im Umgang mit einem Verdachtsfall in diesem Ausmaß versagt hat, reißt alte Wunden wieder auf. Die jüngsten Enthüllungen drohen, saubere Athletinnen und Athleten vollends resignieren zu lassen. Kurz vor den Olympischen und Paralympischen Spielen verschärft sich die Glaubwürdigkeitskrise des Weltsports und des Anti-Doping-Kampfs erneut.“
Die WADA steht nun umso mehr in der Verantwortung und Bringschuld gegenüber sauberen Athlet*innen, zügig und transparent Antworten – mit unabhängiger Unterstützung – auf folgende Fragekomplexe zu liefern:
- In China gab es immer wieder Berichte zu Anti-Doping-Verstößen, auch systematischer Natur und insbesondere im Schwimmsport. In Anbetracht dessen: Wie konnte die WADA als globale Aufsichtsorganisation den chinesischen Untersuchungsbericht, der von einem Ministerium des autoritären Regimes angefertigt wurde, einfach akzeptieren, ohne eigene Maßnahmen einzuleiten? Ist diese Vorgehensweise üblich?
- Welche Rückschlüsse zur Wirksamkeit der WADA und des globalen Anti-Doping-Kampfs, insbesondere in geschlossenen, autoritären Regimen, lassen sich aus den Enthüllungen ziehen?
- Wie erklärt die WADA den uneinheitlichen Umgang mit Trimetazidin-Verdachtsfällen, z.B. in Abgrenzung zum jüngeren Fall rund um die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa?
- Wieso wurden die Verdachtsfälle der chinesischen Schwimmer*innen nicht als Anti-Doping-Verstöße eingestuft?
- Wieso wurden keine vorläufigen Maßnahmen ergriffen bzw. Suspendierungen verhängt?
- Wieso wurden keine unabhängigen Ermittlungen eingeleitet?
- Wieso gab es keinerlei öffentliche und transparente Kommunikation zu den Vorgängen?
- Gibt es weitere, vergleichbare Fallkonstellationen, zu denen die Öffentlichkeit spätestens jetzt in Kenntnis gesetzt werden sollte?
- Welche Ableitungen zur Anwendung der Beweislastumkehr lassen sich nach den Enthüllungen treffen?
- Wie stellt die WADA die (unabhängige) Aufarbeitung der eigenen Handlungspraxis sicher und welche Verbesserungen für die Funktionsfähigkeit der WADA können daraus abgeleitet werden?
- Wie können (potenzielle) Interessenkonflikte im Governance-Modell der WADA, insbesondere mit Blick auf die Rolle von Regierungen und Sportverbänden, minimiert, (finanzielle) Abhängigkeiten reduziert und die Unabhängigkeit der WADA gestärkt werden?
- Wie wird sich nun der Umgang mit den potenziell betroffenen, sauberen Konkurrent*innen der des Doping verdächtigen chinesischen Athlet*innen gestalten? Wie kann Wiedergutmachung erfolgen, falls nötig?
- Welche Maßnahmen wird die WADA einleiten, um das Vertrauen von Athlet*innen auf aller Welt in die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit des Anti-Doping-Kampfs wiederherzustellen – insbesondere mit Blick auf die nahenden Olympischen und Paralympischen Spiele?
Athleten Deutschland setzt sich mit Partnern aus aller Welt seit Längerem für weitreichende Reformen der WADA ein. Hierzu gehören unter anderem
- eine unabhängigere Governance-Struktur,
- der Abbau von Interessenkonflikten im Stiftungsrat und Exekutivkomitee, insbesondere von und gegenüber Akteuren aus Regierungen und Sport,
- die gänzlich unabhängige Besetzung des Exekutivkomitees,
- die Stärkung unabhängiger Athletenvertretung, und
- die gleichberechtigte Vertretung von Athlet*innen neben Vertreter*innen von Sport und Regierungen im Stiftungsrat.
Weitergehende Informationen:
- Positionspapier von Athleten Deutschland mit weiteren Athletengruppen: „Athletengruppen fordern weitreichenden Wandel der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA)“ (Juli 2020)
- Positionspapier von Athleten Deutschland mit NADOs und Athletengruppen: „Athletengruppen und Vorsitzende Nationaler Anti-Doping-Organisationen (NADOs) schließen sich zusammen, um weitere Reformen der WADA einzufordern“ (November 2020)
- Stellungnahme von Athleten Deutschland mit weiteren Athletengruppen: „WADA weigert sich weiterhin, tiefgreifende Reformen umzusetzen“ (November 2021)