Belarus: Sorge um die Verletzung der Prinzipien der Olympischen Charta und der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht der Olympischen Bewegung
Nach offenem Brief an IOC
Berlin, 3. Dezember 2020. Zur Unterstützung der Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) und der belarussischen Athlet*innen hat sich Athleten Deutschland am 2. Dezember 2020 mit einem offenen Brief an das IOC gewandt. In dem Schreiben bitten wir das IOC und die Olympische Bewegung, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden. Diese ergibt sich aus den Verpflichtungen der Prinzipien der Olympischen Charta und aus den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP).
Maximilian Klein, Beauftragter für Internationale Sportpolitik: „Die negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte der belarussischen Athletinnen und Athleten sind eng mit dem belarussischen Nationalen Olympischen Komitee und dem IOC verbunden. Das IOC könnte durch Duldung der Personalunion von politischer und sportlicher Führung zu den nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte der Athletinnen und Athleten beigetragen haben. Ungeachtet dieser Möglichkeit ist die Olympische Bewegung nun in der Pflicht, ihren Gestaltungsspielraum und ihr Einflussvermögen zu nutzen, um diese zu mindern.“
Athleten Deutschland begrüßt das vom IOC am 25. November eingeleitete formelle Verfahren gegen das belarussische Nationale Olympische Komitee (NOK). Etwa 1.200 Athlet*innen und Personen aus dem belarussischen Sort hatten sich einem offenen Brief vom August angeschlossen, der Protest gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen und das politische Regime zum Ausdruck brachte. Daraufhin kam es zu systematischen Repressalien gegen Athlet*innen und Personen aus dem Sport – von Inhaftierungen, Gewaltanwendung bis hin zu Suspendierungen vom Sportbetrieb und Nationalmannschaften.
Mit der Unterzeichnung des offenen Briefs machten die Athlet*innen von ihrem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 19 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) Gebrauch – ein Recht, das das IOC im Grundsatz vollumfänglich unterstützt. Die darauffolgenden Repressalien sind nicht einzelfallgeleitet und stellen daher systematische Menschenrechtsverletzungen dar. Dies widerspricht zugleich den „universellen fundamentalen ethischen Prinzipien“ der Olympischen Charta.
Besonders problematisch sind die Geschehnisse durch die unmittelbare organisatorische Anbindung des olympischen Sports an die repressive Staatsführung in Belarus. Der belarussische olympische Sport steht unter der Kontrolle des Diktators Aljaksandr Lukaschenka, der zugleich Präsident des belarussischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) ist. Sein Sohn Wiktar Lukaschenka fungiert zudem als dessen Vizepräsident und ist Mitglied des nationalen Sicherheitsrates. Beide sind Sportfunktionäre und politische Machthaber in Personalunion.
Die Olympische Bewegung sollte zumindest
- Auswirkungen und Konsequenzen aus der engen Verflechtung von Staat und Sport in Belarus sowie die rechtmäßige Verwendung Olympischer Symbole und Bezeichnungen überprüfen,
- Interessenkonflikte im belarussischen NOK nach den Regeln der Good Governance evaluieren,
- sicherstellen, dass für Athlet*innen bestimmte Gelder aus den Töpfen internationaler Sportorganisationen direkt an die in Frage kommenden Athlet*innen ausgezahlt werden,
- die finanziellen Beziehungen zum belarussischen NOK und den nationalen Fachverbänden überprüfen,
- und die Qualifikation und Vorbereitung für sowie die Teilnahme an den Olympischen Spielen für von Repressalien betroffene belarussische Athlet*innen absichern, indem Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten einschließlich Lebensunterhalt zur Verfügung gestellt werden.
Wir hoffen, dass unsere Anregungen Eingang in die Überlegungen des IOC zum bereits eingeleiteten Verfahren finden. Wir danken dem IOC, dass es den belarussischen Athlet*innen Gehör schenkt und mögliche Konsequenzen bereits prüft.
Unser Brief richtet sich außerdem an Prinz Seid bin Ra’ad Seid Al-Hussein, der die Menschenrechtsstrategie des IOC als ehemaliger Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte entwickelt und begleitet.[1] Dessen gemeinsamer Bericht mit Rachel Davis wurde gestern vom IOC veröffentlicht. Ihre ausführlichen „Empfehlungen für eine IOC-Menschenrechtsstrategie“ stellen u.a. fest, dass die IOC-Menschenrechtsstrategie in den UNGP verankert[2] werden sollte. Laut IOC-Pressemitteilung sehe das IOC seine „Rolle in der Stärkung der Achtung der Menschenrechte als Anführer der Olympischen Bewegung“[3].
Allerdings bekennt sich die Olympische Bewegung bisher noch nicht kohärent und konsequent zur Achtung und Umsetzung der Menschenrechte in ihrem Wirkungskreis. Die gestrigen Veröffentlichungen stellen bisher nur externe Empfehlungen dar. Es ist also noch viel zu tun. Wir werden uns gerne in den bevorstehenden Prozess zur Erarbeitung und Umsetzung einer möglichen IOC-Menschenrechtsstrategie einbringen.
[1] Siehe Ankündigung des IOC im Jahr 2018.
[2] “This approach should be focused on proactively tackling the most severe risks to people, not merely reacting to risks to the organization or the Movement when they hit. Finally, this strategic approach should be anchored in a recognized and legitimate framework […]. In our view, that framework can only be the UN Guiding Principles.”
[3] Englisches Zitat: „[…] role to advance respect for human rights as the leader of the Olympic Movement […].
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