Menschenrechte, Pressemitteilung, Schutz

Belarus: Repressalien gegen Athlet*innen und die menschenrechtliche Verantwortung der Olympischen Bewegung

Offener Brief an die Mitglieder des Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, 

wir bedanken uns für die viel beachtete Unterstützung, die der Deutsche Bundestag der belarussischen Demokratiebewegung und der belarussischen Zivilgesellschaft Anfang November entgegengebracht hat. Deutschlands Stimme hat Gewicht.  

Wir, die deutsche Athletenvertretung Athleten Deutschland e.V., wenden uns gemeinsam mit der Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) an Sie, um auf die Repressalien gegen belarussische Athlet*innen sowie die menschenrechtliche Verantwortung der Olympischen Bewegung aufmerksam zu machen. Die BSSF wurde im Zuge der Proteste gegen das Wahlergebnis der Präsidentschaftswahlen in Belarus gegründet, um die Rechte von Athlet*innen und Personen aus dem belarussischen Sport zu schützen und sie zu unterstützen. 

Hintergrund zu den Geschehnissen in Belarus
Nach den Wahlen drückten belarussische Athlet*innen und Personen aus dem Sport ihren Protest gegen das Wahlergebnis und die politische Führung von Belarus in Form eines offenen Briefs aus, der mittlerweile rund 1.200 Unterstützer*innen gefunden hat. Mit dessen Unterzeichnung machten die Athlet*innen von ihrem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch – ein Recht, das das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Grundsatz vollumfänglich unterstützt

Die Unterzeichnung des offenen Briefs und der legitime Protest gegen die politische Führung von Belarus führte zu Repressalien gegen Athlet*innen und Personen aus dem Sport in Belarus. Die BSSF konnte bis zum heutigen Tage mehr als 60 Fälle dokumentieren, die teils auch psychische und physische Gewaltanwendung sowie Inhaftierungen umfassten. Laut Informationen der BSSF wurden auch Athlet*innen, die sich auf die Olympischen Spiele vorbereiten, von staatlichen Stellen unter Druck gesetzt, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Athlet*innen verloren ihren Kaderstatus und wurden von Wettkämpfen, Trainingsmöglichkeiten sowie vom Sportbetrieb suspendiert. 

Besonders problematisch sind die geschilderten Vorgänge durch die unmittelbare organisatorische Anbindung des olympischen Sports an die repressive Staatsführung in Belarus. Der belarussische olympische Sport steht unter der Kontrolle des Diktators Aljaksandr Lukaschenka, der zugleich Präsident des belarussischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) ist. Sein Sohn Wiktar Lukaschenka fungiert zudem als dessen Vizepräsident und ist Mitglied des nationalen Sicherheitsrates. Beide sind Sportfunktionäre und politische Machthaber in Personalunion. 

Systematische Menschenrechtsverletzungen
Die BSSF wandte sich am 5. Oktober hilfesuchend an das IOC. Das IOC kündigte daraufhin am 7. Oktober Untersuchungen an und leitete am 25. November ein formelles Verfahren ein, um “angemessene Maßnahmen oder Sanktionen” gegen das belarussische NOK zu prüfen. Kurz darauf, am 26. November, übermittelte die BSSF dem IOC eine weitere ausführliche Darlegung einzelner Fälle von Repressalien gegen Athlet*innen. Am Beispiel von sechs Spitzenathlet*innen, die sich bereits für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 qualifiziert hatten oder kurz vor der Qualifikation stehen, legt die BSSF dar, wie diese jeglicher sportlicher Trainingsmöglichkeiten beraubt wurden. Einige dieser Athlet*innen wurden aus den entsprechenden Nationalmannschaften ausgeschlossen.  

Die Konsequenzen, mit denen Athlet*innen nach Unterzeichnung des offenen Briefes konfrontiert wurden, sind nicht einzelfallgeleitet und stellen elementare wie systematische Menschenrechtsverletzungen dar. Diese Rechtsbrüche widersprechen zugleich den „universellen fundamentalen ethischen Prinzipien“, denen das IOC in der Olympische Charta – einer Art „Weltgesetz“ des olympischen Sports – ausdrücklichen Respekt zollt. 

Verantwortung des Sports nach den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Vor diesem Hintergrund möchten wir auf die Verantwortung des IOC und der Weltverbände hinweisen, die sich aus der Olympischen Charta in Verbindung mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) ergibt. Es ist unstrittig, dass die UNGP auch auf Sportorganisationen anwendbar sind.1  

Mit Blick auf die Geschehnisse in Belarus wird klar, dass die negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte der belarussischen Athlet*innen unmittelbar mit der „Geschäftstätigkeit“ des IOC und dem NOK verbunden sind. Unstrittig ist, dass das IOC und die Olympische Bewegung in der Lage sind, die negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte der Athlet*innen im Wirkungskreis des Sports mindestens zu mindern (gemäß UNGP Nr. 13, Fallgestaltung b). Im Übrigen könnte auch die Meinung vertreten werden, dass das IOC zu den nachteiligen Auswirkungen auf die Athlet*innen beigetragen hat (gemäß UNGP Nr. 13, Fallgestaltung a), indem es die Personenidentität des nationalen Präsidenten mit dem Präsidentenamt des NOK zuließ. 

Umso mehr begrüßen wir das vom IOC angekündigte Verfahren zur Untersuchung von Verletzungen der Olympischen Charta durch das belarussische NOK. Diesen Worten müssen allerdings Konsequenzen und Taten folgen. Mit einem offenen Brief an die IOC-Führung am heutigen Tage regt Athleten Deutschland e.V. eine Überprüfung an, wie das IOC und die Mitglieder der Olympischen Bewegung ihr Einflussvermögen und ihren Gestaltungsspielraum nutzen können, um die negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte der Athlet*innen zu mindern und somit ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte gerecht werden können. 

Unser Brief richtet sich außerdem an Prinz Seid bin Ra’ad Seid Al-Hussein, der die Menschenrechtsstrategie des IOC als ehemaliger Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte entwickelt und begleitet.2 Dessen gemeinsamer Bericht mit Rachel Davis wurde heute vom IOC veröffentlicht. Ihre ausführlichen „Empfehlungen für eine IOC-Menschenrechtsstrategie“ stellen u.a. fest, dass die IOC-Menschenrechtsstrategie in den UNGP verankert3 werden sollte. Laut IOC-Pressemitteilung sehe das IOC seine „Rolle in der Stärkung der Achtung der Menschenrechte als Anführer der Olympischen Bewegung“4. Allerdings bekennt sich die Olympische Bewegung bisher noch nicht kohärent und konsequent zur Achtung und Umsetzung der Menschenrechte in ihrem Wirkungskreis. Die gestrigen Veröffentlichungen stellen bisher nur externe Empfehlungen dar. Es ist also noch viel zu tun. 

Debatte zu Menschenrechten im Sport und Unterstützung der Politik nötig
Der Sport und seine Athlet*innen sind für viele Menschen eine Inspirationsquelle und können transformative Kraft entfalten, die unsere Gesellschaften im Positiven beeinflussen. Nun sind es die Athlet*innen und ihr Sport in Belarus, die, wie weite Teile der belarussischen Zivilgesellschaft, auf Unterstützung angewiesen sind.  

Die dortigen gravierenden Menschenrechtsverletzungen von Athlet*innen reihen sich leider in eine Vielzahl von unterschiedlich gelagerten Menschenrechtsverletzungen von Athlet*innen sowie Personen im Wirkungskreis des Sports in aller Welt – auch in Deutschland – ein. Athleten Deutschland e.V. setzt sich deshalb für eine stärkere Auseinandersetzung mit Menschenrechten im Sport ein und will damit auch in Deutschland eine Debatte in Gang bringen. 

Es würde uns daher freuen, mit Blick auf die schweren Vorfälle in Belarus und ganz grundsätzlich beim Thema der menschenrechtlichen Verantwortung des Sports auf Ihre Unterstützung zählen zu können. Selbstverständlich erläutern wir Ihnen bei weitergehendem Interesse die geschilderten Vorgänge und unsere Sorge wegen der Verletzung der Prinzipien der Olympischen Charta und der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht des Sports. 

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung. 

Mit freundlichen Grüßen

Aliaksandra Herasimenia , Präsidentin, Belarusian Sport Solidarity Foundation

Aliaksandr Apeikin , Geschäftsführer, Belarusian Sport Solidarity Foundation   

Johannes Herber, Geschäftsführer, Athleten Deutschland e.V.

Maximilian Klein , Beauftragter für Internationale Sportpolitik , Athleten Deutschland e.V.

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