Gleichstellung, Stimme, Perspektive

„Es gehört zur Selbstverwirklichung, dass man nicht nur Olympiasieger werden möchte.“

Im Rahmen unseres Projekts Athletinnen D haben wir mit sechs Leistungssportlerinnen gesprochen, die in den vergangenen Jahren Mama geworden sind. Inwieweit Familienplanung und Olympiatraum vereinbar sind, verrät uns in diesem Gespräch Rodlerin Dajana Eitberger.

Du bist im letzten Jahr Mama geworden. Wie war das? 
Ich bin mittlerweile gar nicht mehr Neu-Mama. Levi ist letztes Jahr am 21. Februar zur Welt gekommen, Das erste Jahr war für mich eine sehr aufregende Zeit, natürlich auch mit vielen Emotionen. Aber auch wenn man sich vielleicht im ersten Moment denkt, dass im Leistungssport ein Kind auch ein Problem darstellen könnte, das hat mich eher motiviert und vorangetrieben. Mir hat es eine ganze Portion Mut gegeben zu sagen ich kann das doch schaffen, wenn andere Frauen im normalen Berufsfeld arbeitstätig sind, zwar keine Leistungssportlerinnen, aber dennoch alles unter einen Hut kriegen. Warum sollte ich das denn nicht auch können?  Es gibt auch andere Athletinnen, die ebenfalls Mama sind und die das schon geschafft haben. Und wenn die das können, dachte ich mir, dann kann ich das auch. Ich habe mich also auf die Socken gemacht und alles darangesetzt, dass ich da auch wieder ein großartiges Comeback feiern konnte. Und das konnte ich tatsächlich. Mit dem Saisonhöhepunkt habe ich eine Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft im Rennrodeln geholt. Auf Grund der Pandemie-Situation konnte ich sogar trotzdem den ersten Geburtstag mit meinem Sohn feiern.

Du hast es eben schon angesprochenen, dass es auch andere Mamas im Leistungssport gibt, die das geschafft haben – hattest du da ein Vorbild?
Nein, ein Vorbild an sich nicht. Ich wollte auch in der Zeit meiner Schwangerschaft eigentlich mal die Vorreiter-Mamis kontaktieren. Da gehören für mich die Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst dazu. Und natürlich Christina Schwanitz, die mit Zwillingen, die zu dem Zeitpunkt glaub ich, anderthalb waren, auch eine Bronze-Medaille bei einer Weltmeisterschaft geholt hat. Das war für mich auch wieder ein Ansporn: Wenn sie Zwillinge bekommen hat und Leichtathletin ist, und ich möchte mir erlauben zu sagen, dass in der Leichtathletik ein bisschen mehr Aufwand betrieben werden muss, um da Höchstleistung abzuliefern und in der Weltspitze zu sein, dann schaffe ich das auch. Was jetzt nicht heißen soll, dass Rodeln einfach ist. Aber bei uns kommt es doch mehr auf Fahrgefühl an. Letztendlich ist es fast egal, wie ich von A nach B komme. Wenn ich im Ziel die Schnellste bin, habe ich gewonnen.

Hoffst du, dass du auch Vorbild sein kannst als aktive Leistungssportlerin und Mutter?
Ich hoffe es nicht nur, ich würde es mir sogar sehr wünschen, weil das Thema für mich mittlerweile eine Herzensangelegenheit ist. Dadurch, dass ich ja selbst mit dem Widerspruch dagegen zu kämpfen hatte. Ich möchte das andere Mädchen oder junge Frauen den Mut finden, wenn sie irgendwann mal auf ihrem Lebensweg an einem Scheidepunkt stehen. Ich will, dass sie dann sagen: Ich gehe jetzt den Weg, auch mit Familienplanung. In meinen Augen sollte es keine Entweder-Oder-Frage sein.

Wie du es auch schon gesagt hast: Schwangerschaft und Leistungssport ist jetzt nicht das erste, was man zusammenbringt im Kopf. Welche Erfahrungen hast du gemacht während der Zeit?
Im Vorbereitungskurs hat eine Hebamme gesagt: Leistungssportlerinnen haben es einfacher eine Geburt zu überstehen – das kann ich jetzt definitiv verneinen. Das ist eine andere Anstrengung. Ich habe mir das echt motivierend vorgestellt: Wie Zirkeltraining oder wie ein Dauerlauf oder Intervallläufe, dass man für 30 Sekunden alle Kräfte mobilisieren muss und sich dann zwei Minuten erholen kann. So war es definitiv nicht. Als ich „nur“ Leistungssportlerin war, war ich sehr verbissen und sehr eingefahren auf viele Prinzipien. Die haben jetzt keinen Platz mehr, sondern mein Leben lässt vielmehr Platz für Spontanität. Das war ein Problem vor der Schwangerschaft. In der Saison musste ich viele Niederlagen wegstecken und war an einem Punkt, wo ich sehr unglücklich war und so ein bisschen auch die Nadel im Heuhaufen gesucht habe. Dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Ich muss dem Trainerteam vertrauen, den Mechanikern vertrauen.

Also ist der Leistungssport nicht mehr die Nummer eins im Leben?
Es schlägt trotzdem noch ein großer Teil im Herzen, sonst hätte ich mich nicht auf dieses Abenteuer eingelassen. Aber ja man teilt sich den Tag halt ganz anders ein. Mein Tagesplan lässt eben kein volles Pensum mehr zu, so wie ich es vorher gewohnt war, weil ich auch als Mutter noch Energie haben muss.

Wie hat denn dein Sportumfeld auf die Verkündung reagiert, dass du ein Kind bekommst?
Für mich war es am Anfang erst mal schwierig diese Situation selbst zu realisieren. Okay, ich bin schwanger. Was passiert jetzt? Weil der erste Moment, den man ja aus Filmen kennt, dass Frauen Freudentänzchen machen, wenn sie den schönen bunten Streifen auf dem Test sehen, den gab es bei mir leider nicht. Als erstes ist im Kopf: Wie sage ich das meinem Trainer? Gibt es eine Möglichkeit, das zu vereinbaren? Gibt es eine Möglichkeit im Sport zurückzukommen? Oder war es das jetzt?

Nachdem ich es wusste, stand direkt ein wichtiges Trainingslager an. Ich meinte erst zu meinem Trainer, dass ich mich nicht fit fühlen würde. Als er mich überreden wollte, habe ich einfach gesagt: Ich kann nicht, ich bin schwanger. Ich werde diesen Winter nicht fahren. Da ist er erstmal baff gewesen. Ich habe ihn aber auch gleich beschwichtigt, dass ich absolut motiviert bin, im kommenden Jahr wieder anzugreifen. So habe ich ihn mit ins Boot geholt. Auf persönlicher Ebene hat man sich überall sehr für mich gefreut. Aber sportlich gesehen ist man natürlich nicht begeistert, wenn eines der besten Pferdchen im Stall eine Saison aussetzt.

Wenn du zurückblickst: Wurden dir auch Steine in den Weg gelegt?
Ich glaube es war eher die Kultur, die noch nicht da war. Steine hat man mir bewusst nicht in den Weg gelegt. Ich habe aber auch nicht viel verlangt und mir nur die Möglichkeit erbeten, bei der Qualifikation im Herbst dabei zu sein. Diese Chance hatte man mir eingeräumt. Und letztendlich habe ich mich auch für den Weltcup qualifizieren können. Meinen Sponsoren habe ich auch von Anfang an reinen Wein eingeschenkt. In dem Jahr meiner Schwangerschaft wurden zum Beispiel die Sponsorengelder auf Eis gelegt.

Wie lange hast du denn während der Schwangerschaft noch trainiert?
Von meiner Hebamme und meiner Ärztin habe ich mir sagen lassen, dass ich mich nicht in Watte packen oder ins Bett legen muss, sondern, dass ich meiner Tätigkeit so lange nachgehen kann, bis es mich stört. Für mich war aber von Anfang an klar, dass ich mich nicht mehr auf einen Schlitten setze und meine Risikosportart durchführe. Das technische Training habe ich bis in den sechsten Monat gemacht.

Wie hast du die Trainingsbetreuung und auch die medizinische Betreuung wahrgenommen? Gab es einen Fahrplan?
Das war alles nach eigenem Ermessen. Ich hatte nur meine Gynäkologin. Die war selbst im Leistungssport aktiv, aber nicht in meiner Sportart. Ich habe sehr auf mein Körpergefühl gehört. Nach der Schwangerschaft war sehr viel Eigeninitiative gefragt. Vor allem war es für mich immer schwierig, dem Trainer zu erklären, warum ich das jetzt noch nicht machen kann. Man darf zum Beispiel eine ganze Weile keine Bauchübung machen. Das habe ich auch selbst im Laufe des letzten Jahres schmerzlich erfahren. Ich hatte über eine längere Zeit Rückenschmerzen und dachte, zunächst, dass das an der langwierigen Belastung läge, die wir im Winter haben. Letztendlich hat mir der Physiotherapeut gesagt, dass ich noch eine Rektus Diastase von zwei Fingerbreit habe. Das ist der Bauchspalt, der sich bei einer Schwangerschaft ganz natürlich ergibt. Und der war noch weit auseinander. Das kann Rückenschmerzen auslösen, da der ganze Apparat dadurch instabil wird. Das musste dann erst mein Physiotherapeut dem Bundestrainer erklären. Da hieß es dann immer, die Dajana, die muss doch in den Kraftraum. Nein, weil wenn ich jetzt in den Kraftraum gehen, ist das eher kontraproduktiv.

Was müsste sich ändern, damit du sagen kannst: Leistungssportlerinnen, die Mutter werden finden optimale Bedingungen vor? Was müsste passieren, damit es leichter wird? Ich glaube, an erster Stelle steht die Angst von jungen Frauen, überhaupt mit dem Thema zum Trainer zu gehen. Es gibt sicher empathievolle Trainer, dessen bin ich mir auch bewusst, aber am Ende hat man doch oft die Situation Mann und Frau und ein Mann, auch wenn er Kinder hat, wird das nie zu 100 Prozent nachvollziehen können. Aber sie sollten ein bisschen Verständnis dafür haben, dass zur Selbstverwirklichung gehört, dass man nicht nur Olympiasieger werden möchte, sondern dass man auch eine Familie gründen möchte. Ich glaube, dass viele Sachen vereinbar sind, wenn man den Mut dazu hat. Ich glaube, in vielen Verbänden ist das ein Tabuthema. Aber das muss in den Sport und in die Gesellschaft absolut integriert werden, weil es einfach dazugehört. Dass wir im Leistungssport dafür kämpfen müssen, finde ich fast ein Stück weit traurig. Aber wenn man nur so mit seinen Gedanken groß geworden ist, dass eben nur Leistungssport gibt und dass der Rest erst dann ansteht, außer bei einem Mann, dann sprechen wir von einem Kulturwandel und der passiert nicht von heute auf morgen.

Was könnte diesen Kulturwandel voranbringen?
Es gibt so viel Potenzial, da coole Geschichten draus zu machen und Vorreiter auch für andere Gesellschaftsbereiche zu sein. Mittlerweile haben wir einige Väter bei uns in der Trainingsgruppe und auch Mütter. Damit man nicht so viel Trainingszeit verliert, wäre es toll, wenn man zum Beispiel Kita-Plätze schafft. Oder dass Kinder, wenn es sein muss, bei Wettkämpfen oder zumindest im Trainingslager mit dabei sein können, ohne dass man schief angeschaut wird. Als Verband würde ich mir denken: Jackpot. Wenn ein Kind dort aufwächst, wo die Eltern sind, dann ist doch der Nachwuchs regelrecht gesichert.

Was würdest du gerne nachfolgenden Athletinnen-Mamas mit auf den Weg geben?
Vor allem den Mut zu haben, und sich zu trauen, so eine wichtige Entscheidung fürs Leben zu treffen. Ich habe neulich mit einer ehemaligen Sportlerin gesprochen. Sie hat mit Mitte 30 ihre Sportkarriere beendet. Ich glaube, sie hätte sich das nicht getraut. Sie sagte zu mir und meiner Sportkollegin, die ebenfalls Mutter wurde: „Ich hätte euch das auch nicht zugetraut, dass ihr wieder zurückkommt.“ Da war ich sehr dankbar für, denn viele denken das genauso. Ich glaube Sportlerinnen müssen wissen, dass der Drops nicht gelutscht ist, wenn man eine Wettkampfsaison aussetzt, um mit dem Lebensgefährten eine Familie zu gründen. Man kann den Drops dann auch weiter lutschen.

Möchtest du noch was ergänzen?
Ja. Der Support der eigenen Familie war für mich enorm wichtig. Ohne Chris wäre der Winter nicht so verlaufen. Er hat sich Elternzeit genommen, hat letztendlich sogar seinen Job gekündigt. Das hat uns auch eine Menge Mut gekostet. Die Frage: Können wir das finanziell überhaupt absichern?
Ich bin die, die im Vordergrund steht, aber keiner dankt des ihm, sondern alle bejubeln nur die Mama, die zurückgekommen ist.