Neue Studie zeigt: Gesellschaft erwartet vom Leistungssport mehr als Medaillen
Berlin/Frankfurt, 14. Juli 2025. Die Menschen in Deutschland bewerten den Leistungssport positiv und halten seine staatliche Förderung grundsätzlich für wichtig. Prestigeträchtige Ziele wie internationale Medaillenerfolge oder ein besseres Ansehen Deutschlands in der Welt gelten vielen dabei zwar als relevant, sind ihnen aber weniger wichtig als die Förderung von Effekten, die in die Gesellschaft hineinwirken. Befragt nach den Zielen staatlicher Leistungssportförderung, halten 94 % die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit in Vereinen für „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“, ebenso viele die Sicherstellung ethischen Verhaltens im Sport. Auch die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts (91 %), die Stärkung leicht zugänglicher und günstiger Sportangebote (90 %), die Einbindung benachteiligter Gruppen (89 %) und die Vorbildwirkung von Athlet*innen (88 %) spielen hier für sehr viele Menschen eine wichtige Rolle.
Wegweisende Studie zur gesellschaftlichen Wahrnehmung des Leistungssports
Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt eine neuveröffentlichte Studie des SINUS-Instituts. Sie zeigt erstmals umfassend und differenziert, wie die deutsche Bevölkerung über Leistungssport und dessen staatliche Förderung denkt. Die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Athleten Deutschland im Frühsommer 2024 gemeinsam beauftragte Studie basiert auf einer repräsentativen Online-Befragung von mehr als 1.500 Menschen.
DOSB-Vorstand Leistungssport Olaf Tabor sagt: „Die Ergebnisse der Studie bestärken uns in unseren Überzeugungen: Wir wollen einen sauberen und sicheren Leistungssport, von dem die Menschen in unserem Land etwas haben und der gleichzeitig die Entwicklung sportlicher Höchstleistungen angemessen fördert. Diese vielfältigen Ziele zu vereinen ist eine Herausforderung, aber das sollte unser Anspruch für den Leistungssport in Deutschland sein. Es geht um einen international erfolgreichen Leistungssport, von dem der organisierte Sport und unsere Gesellschaft gemeinsam profitieren – sei es durch geeignete Infrastruktur, gestärkten Zusammenhalt, spannende Unterhaltung oder die Motivation zum Sporttreiben.“
Maximilian Klein, stellv. Geschäftsführer bei Athleten Deutschland, sagt: „Die Gesellschaft verknüpft vielfältige Erwartungen mit dem Leistungssport. Empirisch ist noch zu klären, wie seine Wirkungsketten funktionieren und welches Potenzial für das Gemeinwohl in den einzelnen Sportarten steckt. Die Studie ebnet nun den Weg für eine informierte Zieldebatte: Zentral dabei ist die Frage, welche sportlichen und gesellschaftlichen Ziele mit der staatlichen Leistungssportförderung verfolgt werden sollen – und wie sie tatsächlich erreicht werden können.” Klein führt weiter aus: „Die Zielklärung sollte die Grundlage einer nationalen Spitzensportstrategie bilden. Dieser strategische Rahmen muss der Gesellschaft eine sinnstiftende Erzählung bieten, die die Mehrwerte der Förderung überzeugend vermittelt. Damit der Leistungssport langfristig Rückhalt findet, müssen diese Mehrwerte für möglichst viele Gesellschaftsgruppen sichtbar und erlebbar sein. Zugleich würde die Spitzensportstrategie einen Maßstab für die Wirksamkeit der staatlichen Förderung setzen und als inhaltlicher Orientierungsrahmen für zentrale Vorhaben wie Olympiabewerbung, Spitzensportreform und Sportfördergesetz dienen.”
Vielschichtige Erwartungen an gesellschaftliche Mehrwerte – Differenziertes Erfolgsverständnis
Eine breite Mehrheit schreibt dem Leistungssport laut Studie positive gesellschaftliche Effekte zu: Er stärke den sozialen Zusammenhalt, schaffe Gemeinschaftserlebnisse, fördere die Völkerverständigung und vermittele Werte wie Teamgeist und Fairplay. Viele sehen in Athlet*innen zudem geeignete Vorbilder für die Gesellschaft. Die Befragten sind zu großen Teilen der Meinung, dass der Leistungssport wichtige Impulse für den Breitensport setzt. Als internationaler Imageträger Deutschlands spielt er hingegen nur eine untergeordnete Rolle – wichtiger als der Leistungssport sind für die Bevölkerung hier etwa die Bereiche Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft.
Erfolg im Leistungssport wird vor allem mit persönlichen Bestleistungen und Wettkampferfolgen verbunden (je 92 % „trifft voll und ganz zu“ und „trifft eher zu“). Aber auch herausragende Leistungen ohne Medaillen finden breite Anerkennung. Viele werten es zudem als Erfolg, wenn Athlet*innen ihre Sportarten bekannter machen (81 %) oder ihnen nach einer Verletzung oder Elternpause ein Comeback gelingt (69 %).
Gruppenspezifische Unterschiede in den Einstellungen zum Leistungssport
Bei der Bewertung der Ergebnisse spielen auch die vom SINUS-Institut ermittelten Milieus und weitere Gruppenunterschiede eine wichtige Rolle. Dr. Marc Calmbach, Geschäftsführer SINUS-Institut: „Die gesellschaftliche Bedeutung des Leistungssports wird je nach Milieu unterschiedlich bewertet: Am stärksten überzeugen seine Mehrwerte in gehobenen und progressiven Milieus – insbesondere im Konservativ-Gehobenen Milieu. Diese betonen zudem besonders die ethischen und sozialen Mehrwerte des Leistungssports. Am wenigsten überzeugt vom gesellschaftlichen Nutzen des Leistungssports sind die ressourcenschwächeren Milieus. Dort steht man auch dessen staatlichen Finanzierung überdurchschnittlich kritisch gegenüber.„ Kritischer äußern sich im Durchschnitt auch Ältere und Frauen – letztere betonen stärker soziale Ziele. Männer sind zumeist informierter und interessierter am Leistungssport und legen mehr Wert auf internationale Wettbewerbsfähigkeit. Engagierte in Sportvereinen haben überdurchschnittlich hohe Erwartungen an die staatliche Förderung und nehmen gleichzeitig dessen Risiken weniger kritisch wahr.
Grundlegende Akzeptanzfaktoren: Starker Breitensport und Integrität
Für die Bevölkerung ist die Förderung des Leistungssports ohne eine ausreichende Unterstützung des Breiten- und Jugendsports kaum denkbar – sie dürfte vielen sogar als Voraussetzung für die Akzeptanz staatlicher Leistungssportförderung gelten. Entsprechend wird die staatliche Breitensportförderung mit 81 % („sehr wichtig“ und „eher wichtig“) als noch wichtiger eingeschätzt als die Förderung des Leistungssports (74 %). Zugleich ist die Gesellschaft stark für die Risiken des Leistungssports sensibilisiert. 94 % der Befragten fordern ethisches Verhalten ohne Doping oder Missbrauch als Grundlage staatlicher Förderung. Gewünscht wird ein Leistungssportsystem, das die Integrität und die Menschenrechte wirksam schützt und nicht einen „Erfolg um jeden Preis“.
Studienergebnisse als Auftakt für Zieldebatte
Die Studienergebnisse markieren aus Sicht des DOSB und Athleten Deutschlands den Auftakt für die festgelegte, tiefergehende Debatte über die Ziele staatlicher Leistungssportförderung. Dieser zentrale Auftrag aus der Spitzensportreform muss nun auch unter der neuen Regierungskoalition zügig in einen effizienten Aushandlungsprozess überführt werden. Beide Organisationen stehen bereit, sich gemeinsam mit Bund, Ländern und organisiertem Sport auf das weitere Vorgehen zur Umsetzung dieses strategisch bedeutsamen Projekts für den Leistungssport in Deutschland zu verständigen.
- Weiterführende Informationen und Analysen: Gesamte Studie des SINUS-Instituts sowie eine Kurzfassung
- Hintergrund: DOSB und Athleten Deutschland organisieren Zieldebatte für den staatlich geförderten Spitzensport
Methodik der Studie: Das Studienprojekt lief von Juni 2024 bis Juli 2025 und wurde von einem Projektbeirat begleitet. Die vom SINUS-Institut durchgeführte Studie umfasste drei aufeinander aufbauende Forschungsphasen. Im Sommer 2024 fanden zunächst vier Online-Fokusgruppen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen statt, um Einstellungen und Erwartungen an den Leistungs- und Spitzensport zu erheben. Im November folgte eine bundesweite, repräsentative Online-Befragung von 1.519 Personen ab 16 Jahren – darunter gezielt auch Menschen mit Beeinträchtigung sowie Haupt- und Ehrenamtliche im Vereinssport. In einer dritten Phase wurden im Mai 2025 zentrale Ergebnisse in weiteren Fokusgruppen vertiefend diskutiert.
Abgrenzung zum BISp-Projekt: Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) leistet im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) einen weiteren, wichtigen Beitrag für eine evidenzbasierte Zieldebatte: Ein bereits vergebenes Forschungsvorhaben untersucht bis Mitte 2026 die gesellschaftliche Bedeutung des Spitzen- und Leistungssports in Deutschland und soll unter anderem dessen empirisches Wirkungspotenzial beleuchten. Weitere Informationen zum BISp-geförderten Projekt stehen hier: Gesellschaftliche Bedeutung des Spitzen- und Leistungssports in Deutschland