Gleichstellung, Stimme, Perspektive

„Der Weg zurück war schwieriger als ich ihn mir vorgestellt habe“

Im Rahmen unseres Projekts Athletinnen D haben wir mit sechs Leistungssportlerinnen gesprochen, die in den vergangenen Jahren Mama geworden sind. Inwieweit Familienplanung und Olympiatraum vereinbar sind, verrät uns in diesem Gespräch Diskuswerferin Julia Harting.

Du bist als aktive Leistungssportlerin Mama geworden. Was kannst du uns dazu erzählen?
Ich habe 2019 Zwillinge bekommen im Mai. Nach neun Wochen habe ich dann wieder mit dem Training begonnen und habe im Oktober dann richtig den Einstieg gewagt und wieder ganz normal trainiert. Seitdem kämpfe ich mich zurück. 2020 wurde ich dann, wie wir alle, von der Pandemie überrascht. Für mich persönlich war das allerdings eher positiv, weil ich nach der Schwangerschaft doch mit einigen Querele zu kämpfen hatte. Ohne die Verschiebung auf 2021 hätte ich es sonst einfach nicht gepackt.

Schwangerschaft und Leistungssport verbindet man ja nicht im ersten Moment. Welche Erfahrungen hast du denn während der Schwangerschaft gemacht?
Meine Schwangerschaft war super. Ich hatte wenig Probleme. Einen Tag vor der Entbindung war ich noch Aquajoggen. Ich konnte mich bewegen und habe auch super gerne Sport in der Schwangerschaft gemacht, weil mir sonst auch die Decke auf den Kopf gefallen wäre. Ich habe sehr gute Unterstützung von unserer Reha-Trainerin am Olympiastützpunkt bekommen, die sich dann, je nach meinem Befinden und meinem wachsenden Bauch noch Übungen für mich überlegt hat. Ich hatte aber das Gefühl, dass mein damaliger Trainer Berührungsängste hatte. Er hat sich gar nicht getraut, mir Sachen auf dem Trainingsplan zu schreiben, weil er Angst hatte, dass ich mich oder die Kinder verletze.

Warum war das so, was denkst du?
Meines Erachtens kommt das schon daher, dass das kein Bestandteil seiner Trainerausbildung war und er auch bis dahin nicht damit in Berührung gekommen ist.

Und wie war denn der Weg nach der Schwangerschaft zurück in den Sport?
Schwieriger als ich ihn mir vorgestellt habe. Mein Körper hatte sehr, sehr lange mit der hormonellen Umstellung zu kämpfen Ich habe lange gestillt. Das Gefühl, körperlich ich selbst zu sein, damit meine ich vor allem die Belastbarkeit, das hatte ich erst nach fast anderthalb Jahren. Ich hatte stark mit meinen Bändern und Sehnen zu Kämpfen, hatte ständig mit Wassereinlagerungen und entzündlichen Prozessen zu kämpfen, obwohl ich gar nicht viel trainiert habe. Hinzu kommt noch, dass ich wenig geschlafen habe mit den Zwillingen.

Hast du auch psychischen Druck empfunden?
Ja, definitiv. Ich habe den Druck gespürt, mich für Olympia vorzubereiten und auch qualifizieren zu müssen. Das war super wichtig für mich. Zusammen mit meiner körperlichen Verfassung hat das zu einem blöden mentalen Zustand geführt. Dass ich dann letztes Jahr noch 61 Meter geworfen habe, das war wirklich ein Wunder.

Wie bist du aus diesem Tief wieder rausgekommen?
Ein großer Punkt war, dass die Kinder irgendwann in die Kita gegangen sind. Ich habe dann auch wieder angefangen, Mentaltraining zu machen mit meiner Psychologin. Das hat mir richtig gutgetan.

Das klingt nach einem steinigen Weg zurück. Was hätte es für dich leichter gemacht?
Ich hätte definitiv früher wieder anfangen müssen, mit meiner Psychologin zu arbeiten. Dadurch, dass sie mein Verhalten spiegelt, hätte ich vielleicht früher gemerkt, dass ich mir einfach selbst zu schnell zu viel aufgebürdet habe Ich hatte Angst, der Loser zu sein. Ich hatte Angst, dass Leute dann sagen: Die ist ja nur noch im Kader, weil sie Kinder gekriegt hat. Und die Leistung bringt sie ja eh nicht mehr.

Wie hat dein Sportumfeld reagiert als du gesagt hast: Ich kriege ein Kind ein beziehungsweise zwei?
Es haben sich alle mega gefreut. Bei uns beim Training ist es auch sehr familiär. Wir hatten auch vorher schon kundgetan, dass es diesen Plan gibt.

Hattest du ein Vorbild bei der Entscheidung, Mama und Leistungssportlerin werden zu wollen? In erster Linie war es meine Entscheidung mit meinem Mann zusammen. Wir haben uns das gewünscht. Als ich schwanger war, habe ich ziemlich schnell zum Hörer gegriffen. Mit Christina Obergföll habe ich ganz viel drüber gesprochen und auch mit Christina Schwanitz. Da hatte ich echt Glück, das schon zwei mit denen ich auch schon lange Sport mache, die Erfahrung gemacht haben. Mit hat das auf jeden Fall viel Kraft und Mut gegeben. Also gerade auch Christina mit ihrem Zwilling. Jedes Mal, wenn ich sie verzweifelt angerufen haben, musste ich ihr nichts erklären, sie hat es einfach verstanden.

Welche Wünsche würdest du formulieren, damit es nachfolgenden Mamas leichter gemacht wird?
Ich würde mir erstmal wünschen, dass wir Leistungssportlerinnen-Mamas die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sammeln, damit da auch Mütter, die in ein paar Jahren in unserer Situation stecken, darauf zurückgreifen können. Außerdem wäre es für mich wichtig, dass sportmedizinisch, eine bessere Begleitung stattfindet. Auch wenn jeder Körper unterschiedlich ist, würde das viel Unsicherheit nehmen. Athletik- und Reha Trainer sind für mich die Experten nach der Schwangerschaft, für eine sportspezifische Rückbildung sozusagen. Da sollte jede Athletin jemanden an der Seite haben, der sich auskennt. An dieser Stelle fällt mir auch noch eine verbesserte gynäkologische Betreuung ein. Meine Bauchmuskeln haben sich zum Beispiel immer noch nicht wiedergefunden. Ich hätte wahrscheinlich weniger trainieren dürfen. Das hat mir aber keiner sagen können. Ein weiterer Punkt ist die finanzielle Unterstützung. Bei uns kam auch noch die Betreuungssituation dazu. Robert musste voll arbeiten, ich Leistungssport machen. Aktuell haben wir pandemiebedingt eine Nanny, weil es sonst nicht anders geht. Dafür geht fast mein ganzes Gehalt drauf. Das ist eine krasse Investition für eine eventuelle Olympia-Teilnahmen. Es wäre einfach schön, wenn es dafür Unterstützung gäbe, die ganz selbstverständlich ist.

Wie sah es mit dem Kaderplatz aus?
Ich habe meinen Kaderplatz behalten, das war super. Aber nach dem letzten Jahr muss ich sagen, hatte ich Angst ihn zu verlieren. Du siehst auf dem Papier nur die Leistung, die du gebracht hast. Mich hat niemand gefragt, wie die zustande gekommen ist. Eine Garantie, dass man nach der Schwangerschaft zwei Jahre hat, um wieder zurückzukommen, das wäre sehr wichtig. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Körper so lange brauchen kann. Ich habe da auch keine Sorge, dass das missbraucht wird. Jeder der noch mal mit dem Leistungssport starten will nach einer Schwangerschaft, der hat nicht das Problem, dass er sich auf seinen Lorbeeren ausruhen will.

Was würdest du gern nachfolgenden Mamas mit auf den Weg geben?
Wenn ihr Zwillinge in der Familie habt, überlegt euch gut, ob ihr noch mal mit dem Leistungssport anfangen wollt. Die Strukturen müssen sich anpassen, das Wissen dazu muss da sein. Wenn sich diese Lücken geschlossen haben, würde ich den zukünftigen Mamis im Sport sagen: Go for it!