Pressemitteilung, Stimme

Stellungnahme von Athleten­ Deutschland zur Anhörung ­zum 14. Sportbericht der ­Bundesregierung im Sportausschuss ­des Deutschen Bundestages

Köln, 6. Juni 2019. Athleten Deutschland bedankt sich herzlich für die Einladung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages zur Anhörung zum 14. Sportbericht der Bundesregierung und nimmt diese Möglichkeit gerne wahr.

Es ist uns in den vergangenen Jahren mit Unterstützung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat gelungen, eine unabhängige und wirksame Athletenvertretung für SpitzensportlerInnen aufzubauen und damit die Mitbestimmung durch AthletenvertreterInnen im System Leistungssport perspektivisch deutlich zu erhöhen. Deutschland hat bei diesem Thema mittlerweile weltweit eine Vorreiterrolle inne. An dieser Stelle möchten wir uns auch für das neuerliche Bekenntnis von Herrn Bundesminister Seehofer zur unabhängigen Athletenvertretung im Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Anfang Juni 2019 bedanken.

Unmittelbare Athletenförderung als Meilenstein
Auch die deutliche Erhöhung der unmittelbaren Athletenförderung durch den Bund in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe stellt für uns AthletInnen einen riesigen Meilenstein dar. Vielen SportlerInnen bietet sich nun eine deutlich verbesserte Perspektive zur Ausübung ihres Leistungssports – als weitere Alternative zur Spitzensportförderung durch Bundeswehr, Bundespolizei oder Zoll, die nach wie vor wichtige Stützen in der Athletenförderung darstellen.

Inklusion und Gleichstellung von Leistungssport von Menschen mit Behinderung vorantreiben
Athleten Deutschland e.V. begrüßt das klare Bekenntnis der Bundesregierung zur Gleichstellung des olympischen und paralympischen Sports und den Aufwuchs der Fördermittel für Leistungssport von Menschen mit Behinderung. Es gilt, das Thema Inklusion und eben jene Gleichstellung von SpitzensportlerInnen mit Behinderung konsequent und strategisch in allen Bereichen des Systems Leistungssports mitzudenken und weiter voranzutreiben.

Befürwortung der Grundsätze der Spitzensportreform
Ein maßgebliches Thema der vergangenen Jahre war die Spitzensportreform mit dem Konzept „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“, auf Grundlage dessen bereits der erste Durchlauf der neuen Fördersystematik im vergangenen Jahr stattfand.
Als Athlet*innen standen und stehen wir im Grundsatz zu den notwendigen Veränderungen, die einen effizienteren und effektiveren, damit also wirksameren Mitteleinsatz im Bereich des Leistungssports und der Spitzensportförderung bedeuten. Damit soll auch eine Professionalisierung aller beteiligten Akteure und Verbesserung der Strukturen im Spitzensport einhergehen. Gleichzeitig müssen die individuellen Herausforderungen, die aufgrund der plötzlichen Veränderungen entstehen und/oder bereits entstanden sind, ausreichend Berücksichtigung finden.

Forderung nach durchgängiger Athletenvertretung bei der Mittelzuweisung
Das Prinzip der Mittelzuweisung anhand objektiver und nachvollziehbarer Kriterien als Grundlage für darauf aufbauende Potenzialanalysen und nachgelagerter Schritte bis zur finalen Zuwendungsentscheidung ist grundsätzlich begrüßenswert.
Wird von uns Athlet*innen im Trainings- und Wettkampfalltag alles abverlangt sowie höchste Disziplin und Professionalität zur Erreichung von sportlichen Höchstleistungen erwartet, so muss auch klar sein, dass bei allen Reformbemühungen im System Leistungssport die Belange der AthletInnen im Mittelpunkt stehen und ihre Stimme bei allen Entscheidungen gleichberechtigtes Gehör findet. „Alle anderen – Verbände, Sponsoren, erst recht die Politik – haben letztlich nur eine dienende Funktion. Ohne Athletinnen und Athleten gäbe es keine Wettkämpfe, keine Siege und keine Medaillen“, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede vom 7. Juni 2018 bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes formulierte.
Aus diesem Grund ist es Athleten Deutschland e.V. ein wichtiges Anliegen, dass eine durchgängige Athletenbeteiligung bei der neuen Fördersystematik gewährleistet wird – also auch bei den Strukturgesprächen und den grundsätzlich-tendenziellen Entscheidungen der Förderkommission.

Wahrung der „Leichtigkeit und Freude“ beim Spitzensport
Zudem teilen wir die Einschätzung von Herrn Bundesminister Seehofer in seinem Interview in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Anfang Juni 2019, dass bei aller gebotenen Objektivierung von Leistungspotenzialen den AthletInnen die „Leichtigkeit und Freude“ und der „Schuss Unbeschwertheit“ am Sport nicht genommen werden darf.
Stets müssen wir hinterfragen: Zu welchem Preis? Wir stellen in Frage, ob Erwartungs- korridore zu Medaillenchancen einzelner Disziplinen und Sportarten eine probate Quantifizierung von Leistungspotenzialen darstellen. Dass sich der gesteigerte Erwartungs- druck von politischer Seite über die Verbandsstrukturen negativ auf individuelle sportliche und persönliche Werdegänge der deutschen KaderathletInnen niederschlägt, gilt es zu vermeiden.

Planungssicherheit und Perspektive für AthletInnen bei Umsetzung der Spitzensportreform
Die mit der Spitzensportreform einhergehende Zentralisierung und Reduktion von Stützpunkten ist durchaus nachvollziehbar. Mit Blick auf die Straffung der Standorte zeichnet sich bei der Umsetzung der Spitzensportreform aus Sicht vieler AthletInnen ein gefühltes Missverhältnis und Unklarheit in den Zeitabläufen ab: Während die Umsetzung einiger Komponenten verständlicherweise langsamer und damit sicherlich nachhaltiger voranschreitet, haben bereits rasche, teils unerwartete Standortwechsel von AthletInnen stattgefunden, nach denen suboptimale Trainingsbedingungen vorgefunden wurden.

Klar ist: Die deutschen SpitzensportlerInnen müssen Trainings- und Umfeldbedingungen sowie Sportstätten und -anlagen auf Weltklasseniveau vorfinden können – zu den denen sich die Koalitionspartner in ihrem Koalitionsvertrag bekennen.
Zur erfolgreichen und optimalen Wettkampfvorbereitung – gerade im Rahmen olympischer und paralympischer Zyklen – benötigen AthletInnen Planungssicherheit und verlässliche Perspektiven für ihre Trainingsstandorte sowie für die Förderung ihrer Disziplinen und Sportarten. Insbesondere NachwuchssportlerInnen und AthletInnen in festen Arbeits- und Lebensverhältnissen wollen gewährleistet wissen, dass Ihnen nicht die Perspektive zur Ausübung ihres Spitzensports und damit zur Erbringung von Höchstleistungen genommen wird.

Verbände im Bereich Good Governance unterstützen
Athleten Deutschland e.V. begrüßt das erhebliche Bundesinteresse und die Anstrengungen der Bundesregierung, die Bundesportfachverbände dabei zu unterstützen, im internationalen Wettbewerb trotz gestiegener finanzieller und organisatorischer Anforderungen bestehen und ihre sportliche Präsenz bei internationalen Wettkämpfen sicherstellen zu können.
Dabei stellt nicht nur der internationale Wettkampfkalender, sondern die zunehmende Professionalisierung des internationalen Spitzensports im Allgemeinen die Bundessportfachverbände vor Herausforderungen im Bereich Verbands- führung, -management und -organisation. Mit der Professionalisierung des Spitzensports muss auch eine Professionalisierung der Bundessportfachverbände einhergehen, die die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen zur Bewältigung der gestiegenen Anforderungen aufbringen und effizient einsetzen müssen. Es gilt, die Verbände dabei zu unterstützen, diesen gestiegenen Anforderungen mit personeller Kompetenz und effizientem Mitteleinsatz wirksam zu begegnen, damit nicht die AthletInnen schlussendliche Leidtragende sind.
Vor diesem Hintergrund befürworten wir ausdrücklich das Vorhaben der Bundesregierung, die Umsetzung der Grundsätze der guten Verbandsführung (Good Governance) zur Voraussetzung für die Gewährung einer Bundesförderung im Spitzensport zu machen. Ferner gilt es aus Sicht der AthletInnen, die Umsetzung dieser Grundsätze von Good Governance systematisch in der Landschaft der Bundessportfachverbände zu evaluieren.

Individuelle Perspektiven durch duale Karrieren bieten
Athleten Deutschland e.V. schließt sich der Feststellung im Rahmen der Neustrukturierung der Spitzensportförderung an, dass es derzeit kein geschlossenes System der dualen Karriereplanung gibt.
Wir begrüßen die durch Athleten Deutschland e.V. maßgeblich initiierte Reform der Spitzen- sportförderung durch die Bundeswehr. Auch die Bundespolizei und die Bundeszollverwaltung spielen im Bereich „Duale Karriere“ eine zentrale Rolle. Grundsätzlich wünschen sich AthletInnen bei der Förderung durch diese Organisationen eine bessere Nachvollziehbarkeit und Kommunikation von Vergabeabläufen sowie von Förderplatzentscheidungen und -zuweisungen.
Neben den lobenswerten Aktivitäten der Stiftung Deutsche Sporthilfe sowie der Stärkung der Rolle der Laufbahnberater sind weitere Bausteine im Bereich der dualen Karriere denkbar – wie etwa Profilquoten an Hochschulen oder auch Spitzensportförderung durch weitere Einheiten der Bundes- und Landesverwaltungen.
Durch ein aufeinander abgestimmtes und damit individualisierbares Optionenbündel in Zusammenwirkung mit einer holistischen Unterstützung der nachaktiven Karriere können somit gerade angehenden SpitzensportlerInnen glaubhafte Perspektiven zur Ausübung ihres Spitzensports, zu ihren weiteren beruflichen Karrieren sowie zu ihrer persönlichen Entfaltung geschaffen werden.

Reformen im Anti-Doping-Kampf nötig
Die Mission der NADA bildet die zentrale Grundlage für die Aufrechterhaltung des sauberen Spitzensports. Athleten Deutschland e.V. spricht sich daher für eine weiterhin auskömmliche Finanzierung der NADA zur Gewährleistung einer schlagkräftigen Aufgabenbewältigung aus. Wir erwarten, dass sich alle Stakeholder in angemessener Form an der Finanzierung der NADA beteiligen.
Als Konsequenz aus dem jüngsten Dopingskandal von Seefeld halten wir die Weiterentwicklung eines effektiven Hinweisgeber-Mechanismus für essentiell. Es hat sich gezeigt, dass Hinweise aus der Szene weitaus effektiver sind als Anti-Doping-Kontrollen. Wir befürworten dabei die Einführung einer Kronzeugenregelung – wenngleich wir nicht beurteilen können, ob eine solche Regelung zusätzlich zu den Regelungen im WADA-Code tatsächlich zu mehr Hinweisen führen wird.
Gleichzeitig haben gerade die jüngsten Ereignisse eindrücklich gezeigt, dass einzelne und isolierte Maßnahmen wie die Kronzeugenregelung bei weitem nicht ausreichend sind. Vielmehr sind umfassende Revisionen im Anti-Doping-System dringend nötig: Das Anti- Doping-Kontrollsystem ist mit teils erheblichen Eingriffen in Datenschutz und Persönlichkeitsrechten verbunden. Die Athletenvertreter Deutschlands erachten es als unverhältnismäßig, lediglich Kontrollen bei AthletInnen als Konsequenz zu verschärfen. Systematische Versäumnisse im betreuenden Umfeld von AthletInnen lassen Dopingnetze wachsen und unterminieren das Vertrauen in den Leistungssport. Im Ergebnis erwarten wir daher eine gleichwertige Kontrolle und strikte Bestrafung eben jenes betreuenden Umfeldes – also Ärzte, Betreuer und Verbandsfunktionäre. Entsprechende ganzheitliche Maßnahmenbündel sind im Rahmen der nationalen Möglichkeiten zu prüfen. Auch international kann sich Deutschland als einer der großen Beitragszahler für die WADA mit entsprechenden strategischen Maßnahmenvorschlägen einbringen.
Schlussendlich muss in den Verbänden eine Null-Toleranz-Kultur etabliert, gelebt und umgesetzt werden. Dabei sollte jeder Verdachtsfall – egal ob bei Doping, sexualisierter Gewalt, Spielmanipulation oder Korruption – mit einer konsequenten Kultur der Aufklärung bearbeitet werden.

Machtmissbrauch im Sport als Schwerpunktthema des nächsten Berichtszeitraums
Wir begrüßen explizit die zahlreichen Neuerungen und Entwicklungen der vergangenen Jahre im System Leistungssport. Wenngleich der Umfang des Sportberichts der Bundesregierung die Komplexität und Vielschichtigkeit des Sportsystems verdeutlicht, so wünschen wir uns aus Sicht der mitunter betroffenen AthletInnen für den nächsten
Machtmissbrauch im Sport in Form von psychischer, physischer und/oder sexualisierter Gewalt stellt ein zentrales, aber kaum erfasstes Problemfeld sowohl im Breiten- als auch im Spitzensport dar. Dieses Thema wurde nicht zuletzt durch die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs mit ihrer Schwerpunktsetzung auf sexuelle Gewalt im Sport ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.
Auf Probleme, die nur unzulänglich erfasst und ergründet werden, kann auch nur unzureichend strukturell reagiert werden. Deshalb ist eine systematische, länderübergreifende Aufarbeitung dieses Problemfeldes unablässig, um etwa flächendeckende Risikoanalysen sowie Schutz- und Präventionskonzepte zu definieren, zu implementieren und zu evaluieren.