Zentrum für Safe Sport: Haltung von DOSB/dsj legt weiteren Grundstein für die Umsetzung
Berlin, 10. August 2022. Athleten Deutschland begrüßt, dass DOSB und dsj stellvertretend für den organisierten Sport eine Haltung zum Zentrum für Safe Sport gefunden haben.
Maximilian Klein: „Wir halten erfreut fest: Der organisierte Sport spricht sich knapp eineinhalb Jahre nach unserem Impuls klar für die Schaffung eines vom Sport unabhängigen Zentrums für Safe Sport aus. Diese Organisation kann den Kampf gegen Gewalt und Missbrauch substanziell stärken; bestehende Schutzlücken schließen und Systemdefizite perspektivisch auch auflösen. Das sind gute Neuigkeiten für alle Sportlerinnen und Sportler im Breiten- und Leistungssport. Nun sind alle Grundsteine für weitere Planungs- und erste Umsetzungsschritte im Laufe der Legislaturperiode gelegt.“
Die Position des organisierten Sports schließt den Prozess zur gesellschaftlichen Konsensfindung ab. Bereits 2021 hatten sich Akteure aus Politik, Wissenschaft, Praxis und schon damals einige Vertreter*innen des Sports klar für ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport ausgesprochen. Die Bundesregierung, die sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Aufbau des Zentrums bekennt, beauftragte eine Machbarkeitsstudie, die die Notwendigkeit des Zentrums bestätigte und einen Rahmen für erste Umsetzungsschritte anbot.
Die nun vorgelegte Haltung wurde im Laufe eines mehrmonatigen und professionell durchgeführten Dialogprozesses in verschiedenen Formaten erarbeitet, an denen vorrangig Vertreter*innen aus dem organisierten Sport teilnahmen. Als vom Sport unabhängige Athletenvertretung bedanken wir uns insbesondere bei der dsj für die Möglichkeit zur Mitwirkung sowie für die wertschätzende und proaktive Kommunikation im Vorfeld und Verlauf des Prozesses. Die Austauschformate schufen Raum für produktive und bereichernde Diskussionen. Sie förderten neue Erkenntnisse zutage und legten jene Fragen offen, die im weiteren Verfahren dringender Klärung bedürfen.
Inhaltlich begrüßen wir, dass der organisierte Sport
- sich offen mit bestehenden Schutzlücken, Qualitätsgefällen, Systemdefiziten, Ressourcenproblemen, Interessenkonflikten und Handlungsgrenzen auseinandergesetzt hat,
- seine eigene Handlungsfähigkeit strategisch mit einem Zukunftsplan Safe Sport stärken will,
- das Zentrum für Safe Sport und dessen Unabhängigkeit grundsätzlich befürwortet,
- dem Zentrum ebenfalls umfangreiche Kompetenzen entlang der Säulen Prävention, Intervention und Aufarbeitung im Breiten- und Leistungssport zuschreibt,
- sich offen gegenüber verschiedenen, beim Zentrum angesiedelten Streitbeilegungsverfahren zeigt und damit den Weg für Untersuchungs-, Durchgriffs- und Sanktionskompetenzen ebnen könnte,
- sich offen für eine Prüfung von praxistauglichen und datenschutzkonformen Meldeketten zeigt, und
- sich Unterstützungs- und Beratungsleistungen des Zentrums für Safe Sport sowohl für Betroffene als auch für Verbände und Vereine wünscht.
U.a. folgende Punkte betrachten wir kritisch, werden aus unserer Sicht unzureichend adressiert oder bleiben offen:
- Die Finanzierung sollte nicht nur vom Bund, sondern auch von den Ländern sowie dem organisierten Sport getragen werden. Laut Machbarkeitsstudie (S. 57) ist eine anteilige Finanzierung möglich, ohne die operative Unabhängigkeit des Zentrums zu kompromittieren. Mit einer Mitfinanzierung würde der organisierte Sport auch institutionelle Verantwortung übernehmen.
- Die Abgrenzung von Aufgaben im Bereich Prävention und Qualitätssicherung bleibt im Ungefähren. Aus unserer Sicht ist es nötig, dass (Ausbildungs-)Standards (1) für Risikoanalysen, Schutzprozesse, externe Berater*innen sowie sportinterne Ansprechpersonen gesetzt, diese zertifiziert (2), auf Umsetzung im Rahmen eines Monitoring- oder Auditverfahrens auf Umsetzung überprüft (3) und fortlaufend evaluiert sowie optimiert (4) werden.
- Der Grundsatz der Wahlfreiheit für Betroffene muss immer gelten. Hierzu ist es nötig, dass Betroffene auch bei Kontaktpunkten innerhalb des Sportsystems von Beginn an über die Unterstützungsmöglichkeiten des Zentrums aufgeklärt werden.
- Ansprechpersonen im Sport sollten einen Fall bei vorliegenden Interessenkonflikten, bei Überforderung oder bei Überlastung abgeben müssen. Hierzu bedarf es klarer Kriterien. Zudem sollte geprüft werden, ob und wie das Zentrum etwa ab einer bestimmten Schwere des Falls automatisch eingeschaltet werden sollte. Zudem gilt es, die Clearingfunktion proaktiv zu nutzen, wenn eine sportinterne Bearbeitung des Falls an Grenzen stößt.
- Es sollten Szenarien vermieden werden, in denen Betroffene Personen in „Sackgassen“ bei der sportinternen Bearbeitung von Fällen geraten. Es darf nicht zusätzlich in der Verantwortung von Betroffenen oder Hinweisgeber*innen liegen, Interessenkonflikte, Bearbeitungsgrenzen oder Untätigkeit zu identifizieren. Bei der Ausgestaltung des Zentrums müssen deshalb Verfahrensabläufe eindeutig beschrieben werden. Es gilt außerdem, mögliche frühzeitige Meldepflichten an das Zentrum sowie Informationspflichten gegenüber Betroffenen bzw. Hinweisgeber*innen zu definieren.
- Unklar bleibt, wer Interessenkonflikte definiert, diese feststellen bzw. anzeigen muss. Das Papier lässt ebenso offen, welche Handlungspflichten mit dem Vorliegen solcher Interessenskonflikte einhergehen und welche Konsequenzen bei Zuwiderhandeln eingeleitet werden.
- Die Untersuchungsfunktion des Zentrums bleibt weitgehend unerwähnt. Das Zentrum könnte etwa ab einer bestimmten Schwere der Regelverletzung automatisch Untersuchungen einleiten; mindestens aber immer dann, wenn eine der Parteien eine solche anfordert. Auch hier sind bestimmte Informationspflichten inner- und außerhalb des Systems unablässig.
- Wenngleich es praktikabel erscheint, anfangs Kompetenzübertragungen an das Zentrum pro Verband auf freiwilliger Basis zu regeln, sollten sich die Dachorganisationen des Sports mit Nachdruck für einen solchen Kompetenztransfer ihrer Mitgliedsorganisationen einsetzen. So würde ein regulatorischer Flickenteppich vermieden und ein einheitliches Schutzniveau regions- und sportartübergreifend könnte entstehen.
- Es bleibt unerwähnt, wie die Dachorganisationen des organisierten Sports ihre strategische Steuerungsfähigkeit perspektivisch erhöhen oder besser ausschöpfen wollen, um innerhalb des Systems auf eine flächendeckende und harmonisierte Einführung und Umsetzung von hochwertigen Standards hinzuwirken.
- Bezüge zur übergeordneten Thematik der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Verbänden und unseren Vorschlägen hin zu einer ganzheitlichen Integritäts-Governance fehlen. Sollen sportinterne Strukturen perspektivisch mit einem Zukunftsplan gestärkt und gar Mittelerhöhungen erwirkt werden, gilt es aus unserer Sicht, den derzeitigen Umgang der Sportstrukturen mit Integritätsrisiken zu erfassen und Synergieeffekte zu identifizieren.
In der Gesamtbetrachtung halten wir fest, dass die Position des organisierten Sports zum Zentrum für Safe Sport einen weiteren Meilenstein bei der Bekämpfung von Gewalt und Missbrauch im Sport setzt. Es gilt jetzt, den erzeugten Schwung zu nutzen und im nächsten Schritt die Ausgestaltung des Zentrums zu konkretisieren. Wir sind gespannt auf den weiteren Fahrplan, den das Bundesministerium des Innern und für Heimat für den Herbst angekündigt hat. Die Erarbeitung eines bindenden Rechtsrahmens („Integritätscode“) für interpersonale Gewalt und gegebenenfalls weitere Missstände im Sport sollte dabei prioritär Berücksichtigung finden. Ein solcher Integritäts-Code ist essenziell, um das Fundament für Interventionsbefugnisse sowie einer unabhängigen Schiedsgerichtsbarkeit zu bilden. Wir sehen weiteren Prozessen zuversichtlich entgegen und werden uns mit allen Kräften für deren Gelingen einsetzen.