Pressemitteilung, Stimme, Schutz

Damit alle gewinnen. 30 Anregungen für eine ganzheitliche Entfaltung der Athlet*innen veröffentlicht

Berlin, 14. Dezember 2022. Athleten Deutschland plädiert für eine neue Sportpolitik, die die ganzheitliche Entwicklung der Athlet*innen und ihre Individualität in den Mittelpunkt stellt. Diese Forderung ist der Kern eines neuen Papiers, das wir heute im Sportausschuss des Deutschen Bundestags vorstellen.

In 30 Anregungen versuchen wir, dem idealen Sportsystem, das die bestmögliche sportliche und persönliche Entfaltung der Athlet*innen zum Ziel hat, einen Schritt näher zu kommen.

Im Kontrast zu diesem Ideal ist das aktuelle System stärker an bestehenden Strukturen orientiert als an den Bedarfen der Nutzer*innen des Systems – den Athlet*innen – ausgerichtet. Betrachtet man den Spitzensport als Markt, überrascht diese Erkenntnis nicht: Verbände und Stützpunkte haben als Anbieter marktbeherrschende Monopolstellung. Die Athlet*innen auf der Nachfrageseite haben kaum Möglichkeiten, als Verbraucher*innen Einfluss auf die Ausgestaltung und die Qualität der Serviceleistungen zu nehmen. Der Wettbewerb im Markt ist stark eingeschränkt. Es ist auch deshalb davon auszugehen, dass die bisherigen zentralplanerischen Maßnahmen nicht geeignet sind, Mittel effizient und effektiv im Sinne der Athlet*innen und aktuellen Ziele einzusetzen.

Wir plädieren daher für eine neue Sportpolitik, die die Selbstbestimmung der Athlet*innen stärkt, mehr Wettbewerb zulässt, Informationsasymmetrien ausgleicht, Innovation fördert, dysfunktionale Anreizsteuerung abstellt und ihre Entscheidungen evidenzbasiert trifft.

Wir regen Fördermaßnahmen an, die sich konsequent an den Bedürfnissen der Athlet*innen anstatt an bestehenden Strukturen ausrichten. Wir wollen die Selbstbestimmung der Athlet*innen durch mehr direkte Förderung stärken und Möglichkeiten schaffen, ihre Umfeldbedingungen zu bewerten und mitzugestalten. Alle sollten möglichst gleichwertige Chancen für unterschiedliche Wege erhalten. Athlet*innen brauchen echte Wahlfreiheit. Dazu gehört, die Chancen kombinierte Karrierewege im Vergleich zu Sportförderstellen anzugleichen und Athlet*innen nicht gegen ihren Willen von ihren Vereinen, ihren Wohnorten oder ihrem sozialen Umfeld zu entkoppeln.

Werden die ganzheitliche Entwicklung der Athlet*innen und ihre Individualität in den Fokus gerückt, können ihre Talente gefördert, Beeinträchtigungen verhindert und damit auch Erfolgsambitionen zielgerichteter verwirklicht werden. Durch mehr Wettbewerb und mehr Transparenz sollen die Angebote von Verbänden und Stützpunkten verbessert und Mittel effizienter eingesetzt werden. So gewinnen alle: Athlet*innen persönlich, sportlich wie beruflich, Staat, Gesellschaft und der organisierte Sport.

Zu den konkreten Maßnahmen gehören:

  • Stützpunktevaluation und Wirksamkeitsanalyse zentralisierter Einrichtungen durchführen,
  • Zentralisierung nicht als Zwangsmaßnahme gestalten und viel eher Mitbestimmung von Athlet*innen für gute zentralisierte Lösungen verpflichtend einführen,
  • Athletengeld für Unterstützungsleistungen und Einkommenserhöhungen einführen, u.a. um Athleten mit Kaufkraft auszustatten, damit das Angebot im System zu verbessern und Chancen für kombinierte Karrierewege im Vergleich zu Sportförderstellen zu erhöhen,
  • Separates Innovationsbudget schaffen, das u.a. Athlet*innen und ihr Umfeld bei dezentralen, individuellen Lösungen unterstützt und damit Wettbewerb zu zentralisierten Einrichtungen entfacht,
  • Transparenz im System (u.a. „Stützpunktinventur“) schaffen, öffentliche Bewertungsmöglichkeiten für Athlet*innen einführen und sichere Beschwerdemechanismen ausbauen,
  • Dauerhaftes Monitoring zur Situation der Athlet*innen etablieren,
  • Prozess starten, um faire Arbeitsbedingungen und gute soziale Absicherung der Athlet*innen zu ermöglichen,
  • Vereine stärken und ihre Arbeit im Leistungssport einem Monitoring unterziehen, um gezielte Unterstützungsmaßnahmen abzuleiten,
  • Wirksamkeitsüberprüfung der derzeitigen Nachwuchsförderung und ihrer Prämissen durchzuführen,
  • Unabhängigkeit der Vergabeinstanz gewährleisten und Schaffung von Mehrwerten durch Spitzensport in die Förderstrategie aufnehmen,
  • Unterschiedliche Fördertöpfe für unterschiedliche Zielstellungen einführen,
  • Wissenschaftliche Evaluationsbedarfe und dysfunktionale Anreizsteuerungen kartieren, um ihnen entschlossen zu begegnen, und
  • Nachwuchsförderung nicht von Nachwuchserfolgen und -kaderzahlen abhängig machen.

Das heute veröffentlichte Papier basiert auf Fokusgruppen und Diskussionsrunden mit weit über 100 Athlet*innen sowie auf dem Austausch mit Wissenschaftlern, Expert*innen und Stakeholdern. Nachdem wir im Sommer mit unserem Papier „Warum ist es uns das wert?“ die Gretchenfrage der staatlich geförderten Spitzensportentwicklung stellten, liefern wir damit einen weiteren Beitrag für den anstehenden Transformationsprozess im Spitzensport.

Wir begreifen diesen Prozess als herausragende Chance, das Spitzensportsystem im Sinne der Athlet*innen zu gestalten und werden uns mit allen Kräften daran beteiligen – aus der tiefen Überzeugung, dass die besten Entscheidungen für Athlet*innen gemeinsam mit Athlet*innen getroffen werden. Eine Reform der Reform kann nur gelingen und glaubwürdig sein, wenn alle Beteiligten bereit sind, Glaubenssätze und Wirkungsannahmen ernsthaft zu prüfen und sich auch schmerzhaften Diskussionen zu stellen.