Menschenrechte, Pressemitteilung

Öffentliche Anhörung im Bundestag: „Menschenrechte und Sport“ Agenda für Menschenrechte im Sport angehen und Menschenrechtsrisiken im Spitzensport („Menschenrechts-Check“) untersuchen.

Berlin, 11. Mai 2022. Wir sind dankbar, dass sich der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages heute dem Thema „Menschenrechte und Sport“ in einer öffentlichen Anhörung widmet. Maximilian Klein von Athleten Deutschland e. V. nimmt als Sachverständiger an der Anhörung teil. Im Kontext der Anhörung veröffentlichen wir heute eine Positionierung mit Handlungsbedarfen und -optionen für staatliche Stellen und den organisierten Sport im nationalen und internationalen Kontext.

Athlet*innen stellen aus menschenrechtlicher Sicht eine Risikogruppe dar. Dazu gehören nicht nur Menschenrechtsverletzungen von Athlet*innen im Ausland, etwa die Repressalien gegen belarussische Athlet*innen nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen. Auch die Athlet*innen in Deutschland sehen sich tagtäglich mit Strukturen und Regeln konfrontiert, die Risiken für ihre Menschenrechte bedeuten können. Die Liste menschenrechtlich problematischer Zustände im Sport ist lang und vielseitig. Beispiele sind

  • interpersonale Gewalt und Missbrauch,
  • die Beschneidung von Arbeitnehmerrechten, etwa im Kontext der fehlenden Möglichkeit zu Kollektivverhandlungen, und der teils ungeklärte Status als Arbeitnehmer*innen,
  • Diskriminierungs- und Gleichstellungsfragen,
  • Eingriffe in die Meinungsfreiheit (z.B. Regel 50),
  • die Einschränkung von wirtschaftlichen Freiheiten und der Berufsfreiheit, etwa durch Restriktionen bei der Selbstvermarktung des eigenen Bilds (z.B. Regel 40),
  • die Einschränkung der Vereinigungsfreiheit und damit einhergehende Schwierigkeiten zum Aufbau und zur Anerkennung unabhängiger Athletenvereinigungen,
  • die fragwürdige Unabhängigkeit und menschenrechtliche Kompetenz im Kontext der internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit durch den CAS.

Maximilian Klein „Athletinnen und Athleten sind Bürger und Bürgerinnen dieses Landes. Sie haben wie alle anderen auch Grund- und Menschenrechte, sind im Sport aber vielseitigen Menschenrechtsrisiken ausgesetzt. In Deutschland sind deshalb strategische Bemühungen von Sportverbänden und staatlicher Stellen vonnöten, um grundlegende Rechte der Athletinnen und Athleten zu verwirklichen und um wirksam mit Menschenrechtsrisiken umzugehen.

Die deutschen Sportverbände stehen in der Verantwortung, Maßnahmen auf Basis der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zu ergreifen und damit ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Staatliche Stellen sollten ihre finanzielle Förderung für Verbände an die Erfüllung solcher Sorgfaltspflichten knüpfen. Sie müssen Athletinnen und Athleten vor Menschen- und Grundrechtsverletzungen schützen.“

Im deutschen Kontext zeigen wir folgende Handlungsbedarfe für staatliche Stellen und den organisierten Sport auf, um menschenrechtlichen Risiken im deutschen Sport zu begegnen:

  1. Es braucht eine schlüssige Gesamtstrategie zum Schutz und für die Verwirklichung der Menschenrechte im (Spitzen-)Sport in Deutschland. Ziel muss es u.a. sein, bestehenden Menschenrechtsrisiken proaktiv und präventiv zu begegnen, diese zu mindern, mit Beschwerden wirksam umzugehen, Rechteverletzungen abzustellen und Mechanismen zur Abhilfe aufzubauen.
  2. Grundlage hierfür sollten die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Es ist etablierter Konsens, dass das seit über zehn Jahren bestehende Rahmenwerk der Leitprinzipien auch Anwendung auf den Sport und seine Verbände findet. Aus dieser Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte ergeben sich auch für deutsche Verbände menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, die es zeitnah zu erfüllen gilt.
  3. Auf dieser Basis sollten sich sowohl Sportverbände als auch staatliche Stellen mit einer umfassenden Agenda für die Verwirklichung der Menschenrechte im Sport in Deutschland Der DOSB und die deutliche Mehrheit der Verbände lassen dezidierte Menschenrechtsstrategien bisher vermissen.
  4. Im Bereich des Spitzensports bedarf es Risikoanalysen und der Überprüfung bestehender Strukturen und Regeln. Mit diesem „Menschenrechts-Check“ können bestehende Menschenrechtsrisiken erfasst und Handlungsbedarfe abgeleitet werden.
  5. Ein integrer, wertebasierter und damit förderwürdiger Sport muss auf der Achtung der Menschenrechte fußen. Staatliche Fördergelder sollten daher an die Erfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten der Sportverbände auf Basis der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte geknüpft werden. Es gilt also, die bisherigen Vorgaben zu erweitern und schrittweise auf das Fundament der UN-Leitprinzipien zu stellen. 
  6. Die Integritäts-Governance im deutschen Sport sollte einen Paradigmenwechsel unterlaufen und ganzheitlich gedacht werden. Wir schlagen ein harmonisiertes Integritätssystem vor (ausführlicher Vorschlag hier), das Präventionsmaßnahmen flächendeckend sowie überprüfbar umsetzt, Risiken reduziert, effektiv gegen Missstände sowie Integritäts- und Menschenrechtsverletzungen vorgeht und Abhilfemechanismen bereithält. Das von der Bundesregierung geplante unabhängige Zentrum für Safe Sport könnte den Startschuss hierfür legen und langfristig zu einer unabhängigen Nationalen Integritätsagentur ausgebaut werden. 

Wir sind hoffnungsvoll gestimmt, dass die Bundesregierung und der DOSB national wie international einen gewichtigen Beitrag zur Stärkung von Menschenrechtsaspekten im Sport und damit zur Verwirklichung der Menschenrechte leisten werden. Die öffentliche Anhörung ist damit eine Chance, einen weitreichenden Wandel im Sport zu befördern.