Spitzensportreform: Ausgestaltung der Leistungssportagentur, Anschlussfähigkeit der Zieldebatte, Absicherung von Athlet*innen
Athleten Deutschland setzt sich für ein Sportsystem ein, das Athlet*innen optimale Rahmenbedingungen für ihre sportliche und persönliche Entfaltung bietet und sie als Menschen achtet. Das geplante Sportfördergesetz und die damit in Verbindung stehende unabhängige Sportagentur haben das Potenzial, zur wesentlichen Verbesserung der bestehenden Bedingungen beizutragen.
Athleten Deutschland war in die Arbeits- und Aushandlungsformate des Prozesses zur Erarbeitung des Feinkonzepts der Spitzensportreform seit Beginn des Jahres intensiv involviert.[1] Die von uns vorgebrachten Themen, Probleme und Herausforderungen fanden im Prozess weitgehend Gehör. Nach unserer vorläufigen Einschätzung wird eine Vielzahl unserer Positionen Gegenstand der Reformbemühungen sein.[2] Weite Phasen des intensiven Arbeitsprozesses waren von gegenseitiger Offenheit, konstruktivem Miteinander und hoher Motivation der Beteiligten seitens des Bundes, der Länder und der Akteure des Sportsystems geprägt. Diese Aufbruchstimmung lässt uns hoffen, dass nun erste Weichen für umfassende und tiefgreifende Reformen im Spitzensportsystem gestellt werden.
Vorhaben dieser Größenordnung können nicht immer entlang eines idealtypischen Ablaufplans (s. 2.1) verlaufen. Realpolitische Herausforderungen, praktische (Frist-)Erfordernisse und die Gegebenheiten des komplexen Akteursfelds in der deutschen Sportpolitik wirken dem entgegen.
Jetzt, vor Beginn der langwierigen Implementierungsphase, besteht aus unserer Sicht noch die Möglichkeit, die Umsetzungsschritte anhand ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten aufzureihen. Es dürfen keine unumkehrbaren, kostenintensiven Pfade eingeschlagen werden, ohne dass voraussetzende Fragestellungen in der gebotenen Sorgfalt, im Kreise relevanter Akteure des Spitzensportsystems und unter Abwägung von Alternativen transparent und nachvollziehbar beantwortet wurden.
Wir sind hoffnungsvoll und zuversichtlich, dass dieses Unterfangen trotz des gegebenen Zeitdrucks im Laufe der weiteren Umsetzungsplanung gelingen kann. Athleten Deutschland wird weiter auf AG-Ebene einbezogen sein und wird sich (auch weiterhin) hierfür einsetzen. Viele der angesprochenen Fragestellungen sind Gegenstand der derzeitigen Befassungen zur Umsetzungsplanung.
Konkret bedeutet das u.a.,
- dass die Ergebnisse der ausstehenden Zieldebatte anschlussfähig und bedingend für die Zielvorgaben der staatlichen Spitzensportförderung sowie für nachgelagerte Entscheidungen zur Allokation von Förderressourcen bei Förderadressaten sind,
- dass derzeitige Reformstränge in der nationalen Spitzensportpolitik (u.a. Spitzensportreform, Zentrum für Safe Sport, Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen) derart konzeptioniert sind, dass sie als „Puzzlestücke“ anschlussfähig in eine rahmende und kohärente „Nationale Spitzensportstrategie für Deutschland“[3] passen,
- dass im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsvorhabens frühzeitig Handlungsoptionen zur Verankerung von Sorgfaltspflichten für Fördernehmer*innen und Absicherung von Athlet*innen geprüft werden (s. u. Kapitel 4 und 5),
- dass eine ausdifferenzierte Aufgaben- und Kompetenzabgrenzung der Akteure im Spitzensportsystem stattfindet; dazu gehört auch unsere Rolle als übergeordnete Athletenvertretung für den Leistungssport in Deutschland (s.u. Kapitel 2),
- dass eine kriteriengeleitete und nachvollziehbare Diskussion zu Kompetenzen und Besetzung der Aufsichtsgremien der Leistungssportagentur (analog erforderlich zum Zentrum für Safe Sport) stattfindet, die die Unabhängigkeit und die wirksame Aufgabenwahrnehmung der Organisation als Kernziele hat (s.u. Kapitel 2),
- dass Athleten Deutschland in den vorgesehenen Aufsichtsstrukturen auf Augenhöhe verankert wird (s.u. Kapitel 2),
- dass die geplante Flexibilisierung mit Sicherungs- und Fördermechanismen (z.B. durch Controlling, Clearingmechanismen, Athletenvertretung, Feedbackmöglichkeiten, Evaluationen, Individualförderung etc.) flankiert wird, damit neue Handlungsspielräume der Verbände nicht missbraucht werden können, einzelfallbasierte Konflikte sowie strukturelle Problemlagen zufriedenstellen aufgelöst und kurzfristig Instrumente zur Optimierung der Verbandarbeit und Umfeldbedingungen bereitstehen (s.u. Kapitel 3).
Zum kompletten Positionspapier gelangen Sie hier.
Die folgenden, damit verbundenen Ausführungen fußen in weiten Teilen auf Positionierungen und Stellungnahmen, die Athleten Deutschland im Laufe des AG-Prozesses vertreten bzw. eingegeben hat.
[1] Mit je einem von zwölf Plätzen in den vier Arbeitsgruppen (AG 1 – Menschen, AG 2 – Strukturen, AG 3 – Nachwuchs, AG 4 – Steuerung) brachten wir uns nach Kräften konstruktiv ein. Eine Mitgliedschaft von Athleten Deutschland in den oberen Entscheidungs- und Verhandlungsebenen des Lenkungsausschusses und der Bund-Länder-Sport-AG war nicht möglich. Unsere Beiträge basierten maßgeblich auf unseren Positionspapieren der jüngeren Vergangenheit (z.B. hier, hierund hier) sowie konkretisierenden Stellungnahmen und weiteren Eingaben im Laufe des Prozesses. Vor und während der Arbeitsphase standen wir fortwährend im Austausch mit Athlet*innen und Athletenvertreter*innen.
[2] Themenstränge, die hervorzuheben sind, beinhalten (1) die Verbesserung der materiellen und sozialen Absicherung von Athlet*innen, (2) die Verbesserung der Situation der Trainer*innen und des Leistungssportpersonals sowie die Etablierung korrespondierender Berufsbilder, (3) ein Individualbudget für Athlet*innen, die ihre Umfeldbedingungen in begründeten Fällen u.a. in Eigenregie organisieren, (4) systemweite Feedback- und Bewertungsmechanismen für Athlet*innen, (5) systemweite Digitalisierungs- und Datenerhebungsvorhaben, z.B. auch in Form eines Athletenmonitorings, (6) externe Clearing- und Konfliktmanagementsysteme, (7) eine Evaluation des derzeitigen und die Modellierung eines optimierten Gesamtstützpunktsystems, um deutlich verbesserte Umfeldbedingungen für Athlet*innen zu schaffen, (8) die notwendige Zieldebatte zur staatlich geförderten Spitzensportentwicklung, (9) die Steuerung von Förderverfahren durch eine unabhängige Leistungssportagentur, in deren Aufsichtsgremien auch Athleten Deutschland als unabhängige Athletenvertretung vertreten sein muss, (10) die Entbürokratisierung von Förderverfahren, Steigerung der Flexibilität für Verbände und zielgerichtete Controlling-Mechanismen sowie (11) die Schaffung von überprüfbaren und verbindlichen Fördervoraussetzungen mit Bezug zu Integritäts- und Menschenrechtsrisiken.
[3] Diese sollte u.a. (1) auf einer ganzheitlichen Integritätsarchitektur fußen, (2) mehrdimensionale Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, (3) auf gesellschaftlich legitimierten und umsetzbaren Zielvorgaben basieren, (4) ein effizientes und effektives Fördersystem umfassen, das die ganzheitliche Entwicklung der Athlet*innen zum obersten Ziel hat, und (5) Mechanismen enthalten, die die Mehrwerte des Spitzensports heben und für die Bevölkerung nah- und erfahrbar machen, etwa im Rahmen von Sportgroßveranstaltungen und durch mediale Sichtbarmachung.